Die Tochter des Schmieds
Das ist hier so. Wir sind jetzt auf dem Dorf.
Er lachte, aber er machte sich Sorgen. Er fragte sich, ob Fatma sich hier einleben könnte, während er fast jeden Tag zur Schmiede
in die Stadt reiten würde, um dort zu arbeiten. Doch als er nach einer Woche kurz vor der Dämmerung im Dorf ankam, sah er
Fatma auf dem Dorfplatz sitzen, die jungen Frauen und Mädchen hatten sich um sie versammelt und hörten ihr zu.
Als Fatma ihn erblickte, sprang sie auf, doch er bedeutete ihr, sitzen zu bleiben, stieg ab, führte sein Pferd am Zügel in
den Stall und rauchte auf den Stufen vor dem Haus eine Zigarette, während er zusah, wie die Sonne unterging.
– Märchen, war das erste Wort, das Fatma sagte, als sie hinüberkam. Ich habe ihnen Märchen erzählt. Sie kennen keine Märchen.
Das ist doch erstaunlich, oder? Ich dachte immer, die Märchen kämen aus den Dörfern in die Stadt … Du bist früh dran, ich
habe gedacht, du kommst so spät wie in den letzten Tagen. Das Essen ist fertig.
|22| Drinnen blickte der Schmied auf den Teppich im Webstuhl, sah, daß sie gearbeitet hatte, und lächelte leise in sich hinein.
Timur kaufte den Dorfbewohnern Bohnen ab, Weizengrütze, im Sommer und Herbst auch Tomaten, Brechbohnen, Melonen, Weintrauben,
Äpfel und Aprikosen. Er belud seinen Esel, um die Sachen auf dem Markt zu verkaufen, und er machte einen guten Schnitt dabei.
Er kaufte sich zwei Kühe, einige Hühner, auf Fatmas Drängen auch noch einen kleinen Weinberg, seine Werkstatt lief gut, er
verdiente mehr als zuvor.
Gegen Ende des Herbstes verkaufte er die Teppiche, die Fatma gewebt hatte, und als er nach diesem erfolgreichen Sommer so
viel Bargeld in den Händen hielt, fuhr er wieder in die große Stadt. Dieses Mal aber nicht nach Ankara, er fuhr bis Istanbul,
denn dort spielte Beşiktaş im Stadion, und dort waren die Frauen noch schöner und sangen noch lieblicher, und der Wein rann
die Kehle hinab wie flüssiges Sonnenlicht.
Eine Woche später war er wieder da, die Hälfte des Geldes hatte er in Istanbul gelassen.
Fatma verstand sich gut mit den Dorfbewohnern, alle achteten und schätzten sie, und das nicht, weil sie die Frau des Schmieds
war, die Frau des Mannes, dessen Kraft alle rühmten und der zudem noch einen guten Kopf größer war als die meisten, die Frau
eines Mannes mit stechend blauen Augen, der stolz mit geradem Rücken auf seinem Pferd saß. Nein, die Frauen des Dorfes mochten
Fatma, weil sie noch so jung war, weil sie Geschichten erzählen konnte, weil sie immer freundlich zu allen war und sich nicht
als etwas Besseres fühlte, nur weil sie aus der Stadt kam oder weil sie Geld hatte. Sie mochten sie, weil sie gutmütig war
und immer versuchte zu schlichten, wenn es Streit gab, sie mochten ihr sanftes, aber bestimmtes Wesen.
Als Fatma im Winter schwanger wurde, ohne auch nur ein einziges Mal ihre Regel gehabt zu haben, freuten sich alle Frauen des
Dorfes mit ihr.
|23| Der Schmied hatte den Handel ausgedehnt, es hatte sich in den umliegenden Dörfern herumgesprochen, daß es da einen Mann gab,
der den Bauern anständige Preise für ihre Waren zahlte. Im Frühling, als sich Fatmas Bauch schon rundete, nahm Timur sie eines
Tages mit in ein Dorf, das fast eine Tagesreise entfernt war, weil er ihr eine Abwechslung bieten wollte. Immer noch brachte
er ihr Geschenke mit, immer noch sorgte er sich um sie. Nicht mehr so wie in der ersten Zeit, aber das lag am Alltag und nicht
daran, daß sein Gefühl an Kraft verloren hatte.
In dem Dorf schliefen sie bei einem dicken Mann auf einer Matratze, wie sie es seit einiger Zeit auch zu Hause wieder taten.
Ein Freund Timurs hatte geheiratet und sich deswegen das Bettgestell ausgeliehen.
Am nächsten Morgen verhandelte Timur sehr lange mit einem Bauern, der hartnäckig feilschend ein paar Kuruş mehr herausschlagen
wollte. Als man das Geschäft endlich besiegelt hatte, war es bereits Zeit zum Mittagessen, und ihr Gastgeber wollte sie nicht
hungrig aufbrechen lassen. So war es schließlich nach Mittag, als sie zu zweit auf dem Pferd saßen.
Sie waren noch weit von ihrem Dorf entfernt, als der Tag sich neigte, aber es war gefährlich, in der Dunkelheit zu reiten,
nicht nur weil man kaum etwas sehen konnte, sondern auch weil man auf der Hut sein mußte, vor Wegelagerern, die nachts die
Reisenden überfielen.
– Wir werden hier schlafen und morgen früh weiterreiten, sagte Timur.
– Aber wo sollen wir uns denn
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