Die Tochter des stählernen Drachen
seinen perfekten Zügen und der völlig reinen Aussprache da unten im Gang begegnen, so würdest du ihn für kenntnisreich, jedoch merkwürdig langweilig halten. Ein buntes Gemisch aus Tatsachen und Zitaten, mehr jedoch nicht.
Vergleiche dies mit dem Verstand und der Mannigfaltigkeit, den immerwährenden Überraschungen meiner lieben, lieben Herrin.« Blindlings liebkoste er die Bücher mit einer gefleckten alten Hand. »Und möchtest du sie sehen, verstümmelt, erniedrigt - und lobotomisiert? O Schande, Schande, zehntausendmal Schande!«
»Es war nur ein Buch!«
»Entschuldigung.« Eine Echsenfrau mit freundlichem Gesicht steckte den Kopf zur Tür herein. »Ich werde die junge Dame hinausbegleiten. Ich glaube, sie wollte eigentlich sowieso zu meinem Geschäft. Setz dich, Opa. Mach’s dir gemütlich.«
»Hä?« fauchte Inglesoot und fuhr halb zur Tür herum. Ein überraschter Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. Dann knickten die Knie unter ihm weg, und er sank langsam auf einen Pappkarton, der vor Karten, Flugblättern und weggeworfenen Werbe-Wurfsendungen überquoll. Er legte den Kopf in die Hände. »Dahin, alles auf immer dahin«, jammerte er.
Dies war die Gelegenheit für Jane. Sie nahm die Hand der Echsenfrau und trat behutsam über den Cobbly, der ihr jetzt keine Beachtung mehr schenkte. Der Weg nach draußen war frei.
An der Tür öffnete sie ihren Regenschirm und fragte ruhig: »Worum ging das Ganze eigentlich?«
»Ist Berufsrisiko.« Die Echsenfrau hob die Schultern. Sie war schwer gebaut, und ihre Bewegungen waren entsprechend träge. »Man fängt damit an, Bücher zu lesen, und man hört damit auf, sie zu lieben.«
»Aber dieses ganze wilde Gerede! Über Tod, Verstümmelung und Lobotomisierung!«
»Die Nachricht ist vor drei Tagen gekommen.« Sie fischte einen gelben Durchschlag aus einer Schürzentasche, entfaltete ihn, sah ihn an, faltete ihn wieder zusammen und steckte ihn zurück. »Die Behörden werden ein Zehntel unserer Lagerbestände für die Zehent-Feuer einsammeln. Bis jetzt hat Inglesoot ganz gut funktioniert. Aber als er versuchte, die überflüssigen Bücher auszusondern, merkte er, daß er es nicht konnte. Ein paar von uns sind mit Pappkartons zu ihm rüber, um ihn soweit zu bringen, die doppelt vorhandenen, weniger wichtigen Exemplare hineinzuwerfen, Ladenhüter, die sich nie verkaufen würden. Er ist uns quiekend nachgekrochen und hat sie wieder zurückgeholt. Am Ende des Tags hatten wir nur einen Karton mit einem einzigen umschlaglosen Liebesroman darin, und den stellte er für weitere Überlegungen beiseite. Also haben wir aufgegeben.«
»Was wird mit ihm geschehen?«
»Sie werden natürlich alle seine Bücher mitnehmen und ihn dazu.«
»Das ist schrecklich. Können Sie ihn nicht zur Vernunft bringen?«
»Kind, wozu ist ein Buchhändler gut, der keine Bücher verkaufen will? Es klingt hart, aber er ist genau einer jener Außenseiter, die der Zehent wegputzen sollte. Für uns ist es am besten ohne ihn.« Die Echsenfrau lächelte traurig und drückte sich in den nächsten Ladeneingang.
Jane stand zögernd im Regen. Schließlich trat sie wieder in das Geschäft. »Mister Inglesoot.«
Ohne aufzublicken, fragte er: »Wer bist du?«
»Niemand. Ein Freund. Hören Sie mir gut zu. Die Stadt will lediglich ein Zehntel Ihres Inventars. Überlegen Sie mal: Sie haben Hunderte und Tausende von Büchern - Sie können sie unmöglich alle lesen!«
Mister Inglesoot sah auf, und in diesem Blick sah sie die Härte knorriger alter Wurzeln, eine fanatische Entschlossenheit, die getötet, jedoch niemals abgeschwächt werden konnte. »So ist es besser. Besser, daß wir zusammen brennen sollen, als daß ich überlebe und den Leichnam meiner Geliebten beweinen soll, immerzu umgeben von den Erinnerungsstücken an ihre einstige Schönheit.«
»Ihre Sammlung ist keine Frau. Das ist nur eine Metapher - eine Abstraktion! Sie werden für nichts weiter als ein Prinzip sterben, das sonst niemand versteht.«
Während sie sprach, kam Jane zu der Überzeugung, daß sie selbst willentlich niemals für ein Prinzip sterben würde. Sie mochte sich deswegen schuldig fühlen, aber sie würde lächeln und lügen, klein beigeben, so tun als ob, alles, nur um zu überleben. Diese Erkenntnis machte sie ein wenig traurig, aber gleichzeitig auch sehr erwachsen.
»Nicht die Prinzipien sind es, die einen am Ende umbringen.« Inglesoot drückte mit beiden Armen einen Almanach an die Brust. Seine Stimme wurde
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