Die Tochter des stählernen Drachen
vor sich. Die Flammen flackerten, Wachs tropfte, und die Kerzen erloschen.
Jane versuchte zurückzuweichen, doch der verdammte Kerzenständer hielt sie fest. »Meister! Rette mich!« Sie konnte wegen des Lärms, den er veranstaltete, kaum einen klaren Gedanken fassen.
»Ich kenne dich.« Galiagante sah stirnrunzelnd auf sie herab. »Die ... Alchemiestudentin, nicht wahr?« Er schnippte mit den Fingern, und der Kerzenständer wurde still. Der Wind erstarb.
Mit überraschender Zartheit nahm er ihr den Rucksack vom Rücken und durchwühlte ihn. Die Banknoten ordnete er zu einem Stapel und legte diesen beiseite. Er ließ den Rucksack auf dem Tisch liegen, griff ihr zweimal in die Taschen und holte den Schmuck heraus. Jane versuchte nicht, sich zu wehren. Sie war erwischt worden.
»Dies ist eine Gelegenheit, glaube ich.« Ein merkwürdiges kleines Lächeln flackerte wie Feuer auf seinen Lippen. Er musterte sie von oben bis unten. »Aber was für eine?« fuhr er überlegend fort. »Was soll ich bloß mit dir anfangen?«
Unwillkürlich stiegen Jane Tränen in die Augen. »Lassen Sie mich gehen«, flüsterte sie.
Galiagante hatte die Hand of Glory aufgehoben und betrachtete sie. Er schnalzte mit der Zunge. »Verdirb nicht den guten Eindruck, den du bislang gemacht hast«, sagte er mit einem Hauch von Schroffheit. Er legte die Hand nieder und öffnete den Reißverschluß von Pucks Lederjacke. Eine Woge ranzigen Schweißgeruchs schlug ihm entgegen, während er sie offenhielt. »Was ist das?«
Er öffnete ihr die obersten beiden Blusenknöpfe und hob den Ikea-Löffel hoch. »Ach du meine Güte!« Seine Belustigung war offenkundig. Er ließ den Löffel an den Fingerspitzen herabbaumeln. »Ich glaube, ich muß wohl ...«
Die Schlafzimmertür ging auf, und eine nackte und zerzauste Gestalt erschien auf der Schwelle. »Wann bist du ...« Sie hielt inne und fragte ganz erstaunt: »Jane?«
Galiagante versteifte sich. Ohne hinzusehen, fauchte er: »Warte im Schlafzimmer auf mich! Schließ die Tür hinter dir!«
Sie gehorchte.
»Das war Sirin«, sagte Jane.
»Vergiß sie.« Galiagantes Miene wurde abweisend, leicht unschlüssig, als zögerte er am Rand einer Entscheidung. »Ihr Schicksal ist ihr Schicksal. Denke an dein eigenes Schicksal.« Dann lachte er abrupt auf. »Ich werde dich gehen lassen.«
»Vielen Dank«, sagte sie bescheiden.
»Und ich werde dir ein Angebot machen.«
Jane zitterte, sagte aber nichts.
»Wenn du den Zehent überleben solltest - und wenn man dich so ansieht, ist das ein sehr großes ›Wenn‹ -, komm in mein Büro und rede mit meinen Leuten. Ich habe eine Beschäftigung für dich. Eine einträgliche Beschäftigung. Sogar vergleichsweise angenehm.«
Er schnippte erneut mit den Fingern, und der Kerzenständer ließ sie los. Sie trat einen Schritt zurück und rieb sich den Ellbogen. Ihr schmerzte der Arm, und er war wie betäubt.
Galiagante gab ihr den Rucksack zurück, behielt jedoch den Löffel. Er zeigte auf den Aufzug. »Du kannst jetzt gehen. Nicht mit dem Speisenaufzug, wenn es dir recht ist.«
Dann hob er den Kerzenständer vom Tisch und warf ihn Jane zu. Reflexartig fing sie ihn auf. »Hier. Nimm das. Als ernstgemeintes Pfand meiner Aufrichtigkeit.«
Noch ehe der Aufzug eintraf, war er wieder im Schlafzimmer verschwunden. Sie sah zu, wie sich die Tür hinter ihm schloß, dann kehrte sie nach Hause zurück.
Am nächsten Tag brachte Jane wie eine Schlafwandlerin die Vorlesungen hinter sich. Das mittwinterliche Tauwetter hatte endlich eingesetzt, und überall hatten die Studenten die Fenster geöffnet, so daß kalte frische Luft hereinströmte und die Thermostate abkühlte. Aus diesem Grund mühten sich die Radiatoren dampfend und verzweifelt, die Temperatur auszugleichen. Papier flatterte in kleinen Aufwinden, und kleine Staubteufel wirbelten durch die Flure.
Es wäre angenehm gewesen, wenn sie sich nicht so losgelöst von allem vorgekommen wäre. Alles war so weit entfernt, wie im Traum, als wäre sie ein Geist, der durch eine Welt wanderte und rasch die Bedeutung vergaß, die sie für ihn hatte. Das konnte nicht so weitergehen. Bald müßte etwas geschehen. Vielleicht käme an diesem Abend endlich der Zehent und beendete dieses abwartende Halb-Leben. Unterdessen war alles so schrecklich, daß sie sich nicht dazu durchringen konnte, Interesse dafür aufzubringen.
Selbst als Ratsnickle in der Schlange an der Essensausgabe der Mensa hinter ihr auftauchte und einen großen
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