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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Augenblick tauchte Billy Bugaboo, das Tablett in Händen, hinter dem einzigen freien Stuhl auf, der noch übrig war. »Ist dieser Platz frei?«
    »Oh, zum ...!« Jane stand auf. »Nimm ihn! Nimm mein Mittagessen! Mir egal! Was habe ich getan, daß ich dich als Krönung des Ganzen verdiene?«
    Er starrte sie betroffen an. Sie floh aus dem Raum.

    Damit sie nicht möglicherweise jemandem in der Kantine oder in einer der üblichen Studentenkneipen über den Weg liefe, ging Jane an jenem Abend in die Stadt und aß in einem Restaurant in Orgulous. Sie wählte Hackbraten mit Kartoffelpüree. Ein Zwerg versuchte, sie anzubaggern, und als sie ihn anschrie, forderte sie der Oberkellner zum Gehen auf.
    Der Abend war mild und angenehm. Der Verkehrslärm war gedämpft, die Luft fast warm. Jane schritt in sich selbst versunken dahin, die Hände tief in den Taschen vergraben, und sah finster drein. Wie lange noch, fragte sie sich, wie lange noch?
    Jane war über Senauden nach Orgulous gefahren. Aus einem Impuls heraus hatte sie ein Taxi dorthin genommen. Als sie jetzt das Foyer von Bellegarde betrat, wurde ihr plötzlich bewußt, daß sie zum erstenmal seit Monaten wieder hier war. Sie bemerkte gleichfalls, daß sie ihren Aufzugpaß in der Handtasche in ihrem Zimmer gelassen hatte. »Scheiße!«
    Es war sinnlos, gutes Geld für etwas zu verschwenden, wofür sie bereits bezahlt hatte, also nahm sie die hinteren Korridore zu den Servicebereichen und suchte einen Lastenaufzug. Das war nicht gestattet, doch die Studenten benutzten sie ständig.
    Dann verirrte sie sich. Ein Treppenhaus brachte sie hinab ins Erdgeschoß, und als sie umkehren wollte, fand sie den Weg nicht wieder. Also ging sie weiter durch eine Anzahl immer dunklerer Vorratsräume hindurch, die nach Terpentin, Pech, Essig und vermodernden Büchern rochen. Sie war kurz davor, in Panik zu geraten, da sah sie eine grün gestrichene Stahltür neben einem Kohlebehälter. Sie blieb stehen.
    Sie hätte keinen Grund dafür angeben können, aber sie hatte das überwältigende Gefühl, daß das, wonach sie suchte, sich gleich hinter dieser Tür befände.
    Sie öffnete.
    Große Massen aus schwarzem Eisen ragten drohend in der Düsternis auf. Jane roch Schmiere und Öl. Das Licht einer einzigen nackten Glühbirne schimmerte auf einer riesigen Konstruktion aus Stahl und Bösartigkeit. Sie war ihr so vertraut wie die intimsten Bereiche der eigenen Seele. Es war 7332 - Melanchthon.
    Der Drache grinste.
    »Überrascht, mich wiederzusehen, kleiner Wechselbalg?« Die Hitze seines Spotts war wie ein Schmelzofen, der sich vor ihrem Gesicht öffnete. Die Tür löste sich unter Janes Hand auf, und die Dunkelheit wurde durchdringender. Im ganzen Universum existierte nichts weiter als der Drache und sie. Melanchthons Kabine öffnete sich lautlos. »Komm herein! Wir müssen einiges besprechen.«
    Ihr blieb keine Wahl, also stieg sie ein.
    Die Pilotenliege sah neuer aus, als sie sie in Erinnerung hatte. Aber als sie sich niederließ, legte sie sich ganz genau wie früher um Jane. Weiches Licht schimmerte von den Instrumenten. Dinge krochen in der Schwärze am Rande ihres Blickfeldes umher. Irgendwo kreischte ein Meryon und wurde zum Schweigen gebracht.
    »Du hast mich im Stich gelassen«, sagte sie.
    »Jetzt bin ich wieder da.«
    Janes Hände umklammerten die Armlehnen. Eine Drehung, und die Nadeln würden ihr in die Handgelenke stechen. Die Panoramascheibe würde herabgleiten, um sie in das Sensorium des Drachen einzustöpseln. Sie drehte nicht an den Griffen. »Du siehst blendend aus.«
    Wie beabsichtigt, beleidigte ihn das. »Du bist so dämlich und schwer von Begriff wie eh und je«, sagte Melanchthon höhnisch. Tief in seinem Thorax brüllte eine Maschine auf, deren Vibration die Kabine erschütterte. »Ich bin gekommen, um dir Tod, Blut, Rache und einen kleinen Anteil am größten Abenteuer seit dem ersten Mord zu bringen - und du kommst mir mit Höflichkeiten.«
    »Mehr als Höflichkeiten haben wir einander nicht zu sagen.«
    »Red dir nur den Mund fusselig«, sagte der Drache wütend und ungeduldig. »Vergifte mit deinem seichten und schalen Geschwätz so viel Luft, wie du magst. Aber du und ich, wir haben ineinander gelebt. Wir haben Wesentliches miteinander geteilt, und keiner von uns beiden kann sich in diesem Leben vom anderen lösen.« In dem darauffolgenden Schweigen stieg die übelkeiterregende Überzeugung in ihr hoch, daß er recht hatte.
    Als der Drache schließlich wieder das

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