Die Tochter des stählernen Drachen
überschwenglichen Kuß schauspielerte, hob sie lediglich die Schultern und wandte sich ab. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht, das bei ihrem Schulterzucken häßlich wurde, und sie wußte, daß sie sich deswegen eigentlich Sorgen machen müßte. Sie hätte nichts Besseres tun können, um ihn in Wut zu versetzen.
Dennoch, was sollte sie tun? Es kam ein Punkt, da wurde alles mehr oder minder einerlei.
Sie trug ihr Tablett zu einem Plastiktisch unter einem eingetopften Dornenbaum und setzte sich. Ein Würger schlug in den dornigen Tiefen Krach, während er von Zweig zu Zweig hüpfte. Am Tisch standen vier Stühle. Ratsnickle nahm den Stuhl ihr direkt gegenüber. Sie sah auf ihren Salat hinab. »Du bist hier nicht erwünscht.«
Ratsnickle stach die Gabel in die fette Wurst auf seinem Teller und wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. »Du wirst noch krank werden, wenn du diesen ganzen grünen Scheiß ißt. Du mußt dir etwas Fleisch zwischen die Zähne schieben.« Er biß das Ende ab, kaute mit offenem Mund und fuhr fort: »Ich mach dir ’nen Vorschlag. Warum kommst du heute nacht nicht zu Monkey und mir für einen kleinen Mitternachts-Snack? Wir sorgen dafür, daß du was auf die Rippen kriegst. Wir stopfen ein bißchen Protein in dich rein.«
Jane legte die Gabel nieder. »Wenn du nicht ...«
Plötzlich schob sich Sirin auf den Stuhl neben Jane. Ohne Einleitung sagte sie: »Ich muß dir was wegen letzter Nacht erklären. Nur damit du dir keine falschen Vorstellungen machst.«
Sie hatte das Haar heute zu einem festen Pferdeschwanz zurückgebunden und nur den Hauch eines weißen Lippenstifts sowie den dazu passenden Lidschatten aufgelegt. Sie trug einen schwarzen Rollkragen. An ihr sah er gut aus.
»Ich glaube, ich versteh’s schon.«
Ratsnickle räusperte sich. »Schön, auch dich zu sehen, Sirin«, sagte er laut.
»Hallo, Snickle.« Sie sah ihn so flüchtig an, als existierte er gar nicht. »Du weißt nicht, wie es ist, Begierden zu haben, die - nun, vielleicht nicht anständig sind. Aber ich hab sie nun mal. Das siehst du ein, nicht wahr? Sie sind ein Teil meiner selbst - ich kann sie nicht verleugnen.«
Verlegen, weil Ratsnickle an jedem einzelnen ihrer Worte klebte, sagte Jane: »Du mußt mir nicht erklären, weswegen du Galiagante magst. Jedem das seine. Das ist mir schon bewußt.«
»Galiagante mögen!« Sirin brach in ein silberhelles Gelächter aus. »Wie kommst du denn darauf? Galiagante hat nichts damit zu tun.«
»Es ist nicht so sehr das Individuum als solches, sondern vielmehr die Vorstellung des dominanten Mannes«, gab Ratsnickle unaufgefordert von sich. »Diese Pheromone, die wir produzieren und aussenden ...«
Sirin wischte seine Bemerkung mit einem kleinen Zucken der Hand beiseite. Es war wunderbar, wie Ratsnickles Sticheleien an ihr abprallten. »Mir gefällt es, wie er mich behandelt. Mir gefällt es, wie ich mich bei ihm fühle. Wenn ich jemanden fände, der dafür geeigneter wäre, wäre er Schnee von gestern. Aber du kannst jede Wette eingehen, daß der neue Bursche ihm gegenüber um keinen Deut besser wäre.«
»Das kannst du nicht wissen, bevor du mich ausprobiert hast. Vielleicht werd ich’s sein.«
»Sirin, warum erzählst du mir das alles?« Für Jane war es unvorstellbar, so offen zu sein, jemandem die eigenen Geheimnisse in aller Öffentlichkeit zu erzählen - noch dazu im Beisein von Ratsnickle! -, als wäre es gleichgültig, was andere Leute wußten. Als würden sie nicht aus dem Gehörten ihren Vorteil ziehen.
»Ich hatte einen Traum. Von einem Verhängnis.« Sirins Gesicht wirkte abgespannt und verkrampft. »Ich habe geträumt, daß Galiagante ... Daß er ... Oh, ich kann dir nicht sagen, wie häßlich es war. Ich bin davon aufgewacht und habe nur noch gedacht: Nicht so! Jane, du bist dir deiner stets so sicher, du bist so stark.«
»Wirklich?« fragte Jane erstaunt. Ratsnickles Grinsen war lüstern und lauernd. Sie sah fast, wie sich die Rädchen in seinem Kopf drehten.
»Ich hab mir gedacht, vielleicht könntest du für ein paar Tage zu mir ziehen. Weißt du, nur zum Reden und Herumhängen und so. Nur um darauf achtzugeben, daß ich keine Dummheiten anstelle.« Sirin senkte die Stimme. »Ich weiß, es ist keine großartige Idee.«
Jane sagte steif: »Ich hab’s dir schon mal gesagt. Ich mache mir Sorgen um dich, und ich wünschte, ich könnte helfen. Aber ich kann einfach nichts tun.«
»Aber ich bitte um so wenig.«
Just in diesem
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