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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Geschenk, hast du gesagt. Welches Geschenk?«
    Nichts.
    »Das hab ich doch alles schon mal durchgemacht. Ich werde keines deiner dummen Bewußtseinsspiele mehr mitspielen.«
    Schweigen.
    Jane mühte sich, ihren Ärger, ihre Furcht, ihr Gefühl der Empörung und der Ohnmacht niederzukämpfen. Sie benötigte einige Zeit dazu. Schließlich jedoch stieg sie aus der Kabine, genau wie Melanchthon es gewünscht hatte.
    Wie üblich blieb ihr nichts anderes übrig.

    Irgendwie gelang ihr die Rückkehr nach Habundia. Als sie mit der Hand die Tür berührte, durchbohrte sie ein eisiger Speer der Vorahnung. Sie zögerte, war außerstande, den Knauf zu drehen.
    Das war doch dumm! Da drin war nichts - da konnte nichts sein was schlimmer wäre als das, dem sie sich gerade in den Kellern von Bellegarde gegenübergesehen hatte. Es war nur Melanchthon, der einfach aus Gehässigkeit das Messer in ihrer Brust drehte. Sie warf die Tür auf.
    Monkey und Ratsnickle lagen tot am Fußboden.
    Ein kleiner unartikulierter Laut stieg Jane aus der Kehle. Das also stellte sich Melanchthon unter einem Witz vor? Oder war es vielleicht nur seine absurde Version dessen, was Galiagante ein ›ernstgemeintes Pfand‹ genannt hatte: das höflich gemeinte Beseitigen zweier belangloser Ärgernisse aus ihrem Leben?
    Das Licht war angeschaltet. Deswegen war es so entsetzlich. Wenn es irgendwo auch nur die Spur eines Schattens gegeben hätte, hätte sie vielleicht mit dem Blick dort Zuflucht suchen können. Aber in dem grausamen nackten Licht der Lampen war ihr Blick wie festgenagelt. Es gab kein Wegschauen. Es gab kein Leugnen dessen, was vor ihr lag.
    Im Tod war Monkeys Gesicht grau geworden, und Ratsnickles Gesicht war gespensterhaft weiß mit blauen Streifen. Die Iris hatte sich völlig aufgelöst, hatte konturlose Halbmonde unter purpurfarbenen Lidern zurückgelassen. Beider Münder waren schlaff und standen offen. Speichel zog eine feuchte Spur an Ratsnickles Kinn herab, und ein einzelner Tropfen klebte an der Unterseite und weigerte sich wahnsinnigerweise herabzufallen. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben.
    Die Nadel steckte noch immer in Ratsnickles Arm. Er mußte erst Monkey einen Schuß verpaßt und sich dann abgewandt haben, um sich das Zeug zu injizieren, ohne zu sehen, wie sie auf dem Boden vor dem Bett zusammensackte. Als dann das Gift sein Herz erreicht hatte, war er einfach zur Seite gefallen. Sein Kopf wies zur Tür. Selbst im Tod wandte er sich von der armen Monkey ab.
    Vor Entsetzen erstarrt stand Jane da.
    In der Ferne erhob eine Sirene die Stimme. Ein zweite trat hinzu, dann eine dritte. Bald war die ganze Stadt eine Symphonie von Hupen und Sirenen.
    Der Zehent hatte begonnen.

18

    Etwas Schlimmeres hätte sie unmöglich tun können. Auf den kopierten Flugblättern, die die Universität an alle Studenten verteilt hatte, stand in großen, süßlich riechenden purpurfarbenen Buchstaben an oberster Stelle: 1. BLEIBE IN DEINEM ZIMMER
    Jane wußte, daß dies ein guter Ratschlag war.
    Aber blinde Panik trieb sie aus dem Zimmer, hinaus aus Habundia, ganz hinaus aus Bellegarde und auf die Straße. Ihr Bewußtsein hatte darauf keinen Einfluß. Im einen Augenblick starrte sie hinab auf die beiden Körper am Fußboden, und im nächsten Augenblick fand sie sich zitternd und verwirrt in einem unvertrauten Teil der Stadt wieder.
    Ein eberköpfiger Elf watschelte weinend vorüber. Mit den Ellbogen vollführte er pumpende Bewegungen, und Tränen rannen ihm die spiralförmigen Stoßzähne hinab. Ihm folgten ein Dutzend spottender und lachender Wolfsjungen. Ein Stock stach ihn in die Seite, er stolperte, und dann war er auf und davon.
    Das Geräusch splitternden Glases ertönte.
    Sie mußte nach Bellegarde zurück! Man würde die Tore um Mitternacht vor dem Aufruhr verschließen. Aber wenn sie vorher hindurchschlüpfen konnte, mochte sie Zuflucht in Sirins Zimmer finden, vielleicht auch in Linnets Zimmer, hoch über der Erde, wo das Schlimmste sicherlich noch das Heruntergehen war.
    Die Straße machte eine Biegung und wurde schmaler. Blinde Mauern hoben sich zu beiden Seiten und bildeten eine Durchfahrt oder einen Schacht. Den Block hinab tanzten Feen zum Gehämmer und Gedröhn eines Ghettoblasters um ein Freudenfeuer. Andere waren in ein Textillager eingebrochen und warfen Ballen von Musselin, Kaliko, Popeline und Moiréseide aus den Fenstern des fünften Stockwerks. Unterwegs lösten sich Ballen auf, und der Stoff regnete auf das Pflaster. Grigs

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