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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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und Dunters stürzten zu den Aufschlagstellen und schleppten Material für das Feuer weg.
    Jane wich zurück, doch die Straße hinter ihr füllte sich plötzlich mit grotesken Gestalten, die intonierten:

»Eisenkraut, Johanniskraut, Fingerkraut, Saat,
    Verbrennt die Sta-adt, Zerschlagt den Staat!«

    Sie spielten Glocken und Hörner und winkten mit Werbefähnchen über den nickenden Köpfen hin und her. Sie führten Laternen an langen Stöcken mit sich. Sie waren fledermausohrig, hatten Geweihe, Storchenbeine und sahen nichts anderem so sehr ähnlich wie einer feiernden Karnevalsgesellschaft.

»Verbrennt die Sta-adt,
    Zerschlagt den Staat!«

    Da sie zuviel Angst hatte wegzulaufen, wurde Jane von dem Mob eingeholt, aufgenommen und weitergetragen. Unvermittelt war sie eine von ihnen, nicht ihr Ziel, sondern geborgen in ihrer fröhlichen Schar, vor Stößen beschirmt und aufrechtgehalten von den dichtgedrängten Leibern. Jeder lachte, war rotgesichtig und häßlich. Ein roter Zwerg reichte ihr eine Dose Bier.
    Um sich zu beruhigen, öffnete sie die Dose und nahm einen tiefen Schluck. Das Bier war so kalt, daß es ihr auf der Zunge stach.

»Verbrennt die Sta-adt,
    Zerschlagt den Staat!«

    Eine merkwürdige elektrisierende Mischung aus Furcht und Aufregung erfüllte sie.
    Der Mob erreichte das Freudenfeuer. Die beiden Gruppen vermengten sich und bildeten ein wirres Durcheinander.
    »Macht’s Spaß?«
    Jane fuhr erstaunt herum. »Linnet! Was tust du denn hier?«
    Ihre Klassenkameradin hob die Schultern. »Dasselbe wie du - Spaß haben.«
    »Linnet, wir müssen nach Habundia zurück. Hast du eine Vorstellung, wie weit das ist? Wenn’s nicht zu weit ist, können wir’s noch vor Torschluß bis dahin schaffen.«
    »Scheiß doch der Hund drauf!« Linnet umarmte leidenschaftlich sich selbst, wobei die knochigen Schultern herausstanden wie ein zweites Paar Schwingen. »Ich geh nicht hier weg, um auf meinem Zimmer zu hocken und Löcher in die Wände zu starren. Oder ein Buch zuzuknallen. Oder vielleicht sogar einen Elektrokocher hervorzuholen und Kamillentee aufzubrühen. Habundia ist ’ne Million Lichtjahre weg. Verstehste? Heute nacht ist nichts verboten. Du willst was haben - nimm’s dir! Dir gefällt jemand - mach schon und tu’s! Du kannst auf der Bordsteinkante sitzen und vor den Augen der ganzen Welt die eigenen Nasenpopel fressen, wenn dich das antörnt. Niemand wird dich daran hindern. Niemand wird es dir ankreiden.«
    Sie steckte sich eine zerknitterte Hanfzigarette in den Mund und schnippte mit den Finger darunter. Ein Funke, eine Flamme, eine Rauchwolke. Sie bot nicht an, sie zu teilen. Das ausgelassene Licht der Hemmungslosigkeit auf ihrem Gesicht war derart intensiv, daß Jane verlegen den Kopf senkte.
    Brüllend wogte die Menge weiter. Jane wurde zur einen Seite geschoben und dann zu anderen. Sie mußte traben, damit sie nicht fiel. »Wohin gehen wir?« schrie sie.
    »Wen kümmert’s?«
    Sie eilten an einer Reihe von Geschäften vorüber. Glasfenster zerbrachen in ihrem Kielwasser. Einzelne Individuen stürzten hinein, um sich eine Handtasche oder eine Handvoll Manschettenknöpfe zu schnappen, aber der Mob als Ganzes verlangsamte den Schritt nicht. Immer und immer wieder ertönte das Geräusch von explodierendem Glas. »Das ist schrecklich!« rief Jane.
    »Das ist gar nichts.« Linnets Augen glühten. Ihr Grinsen war so breit, daß es weh tun mußte. »Wart’s nur ab!«
    Der Mob drängte sich zusammen. Von allen Seiten stießen Schultern, Ellbogen und knochige Kinne gegen Jane und drohten, ihr die Rippen zu brechen. Körper verschwanden, wurden von anderen ersetzt. Wie ein Grapefruitsame, den man zwischen Daumen und Zeigefinger drückte, glitt Linnet Jane aus den Augen.
    Jane war völlig hilflos. Gefangen und engstens bedrängt in der dichten Menge konnte sie nicht einmal stürzen - der Mob hielt sie aufrecht. Kurzzeitig wurde sie von ihren Füßen gehoben und dahingetragen. Als die Straße breiter wurde, berührten ihre Füße wieder Pflaster, und sie mußte laufen, damit sie nicht fiel und zertrampelt wurde.
    Erneutes Gebrüll. Der vordere Teil des Mobs hatte etwas gefunden. Es war, entdeckte Jane, als sie sich nahe genug herangeschoben hatte, daß sie es sehen konnte, ein Behemoth. Sie hatten ihn in einer Sackgasse in die Enge getrieben und wiegten ihn hin und her. Grollend vor Wut und Enttäuschung kippte er um, und seine Eroberer bestiegen ihn über das Hinterteil. Sie sprangen auf die Haube und

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