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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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»sonst würde es ihm auffallen.«
    »Ich?« quietschte Jane. »Warum ich?«
    »Sei nicht blöd. Er hat seine Tür vor solchen wie uns geschützt. Aber du - du bist von anderem Blut. Seine Schützlinge und Hexen werden dich nicht aufhalten.«
    »Nun, verbindlichen Dank«, sagte Jane. »Aber ich werd’s nicht tun. Es ist falsch, und ich habe euch bereits den Grund dafür dargelegt.« Einige der kleineren Kinder näherten sich ihr bedrohlich. »Es ist mir egal, was ihr sagt oder tut, aber ich werd den Teufel tun. Sucht euch jemand anderen für eure schmutzige Arbeit!«
    »Oh, komm schon. Denk dran, wie dankbar wir alle wären.« Rooster ließ sich auf ein Knie nieder, legte sich eine Hand aufs Herz und streckte verlangend die andere Hand aus. Er wackelte komisch mit den Augenbrauen. »Ich werde auf ewig dein Verehrer sein.«
    »Nein!«
    Stilt hatte Schwierigkeiten, ihren Worten zu folgen. Das war bei seiner Art ein frühes Anzeichen für nahe bevorstehende Reife. Mit gesträubten Brauen wandte er sich an Rooster und fragte stockend: »Ich... kann nicht fliegen?«
    Stilt weinte los.
    Seine Schluchzer waren anfangs fast unhörbar, wurden jedoch rasch lauter. Er warf den Kopf zurück und heulte vor Elend. Entsetzt traten sich die Kinder gegenseitig auf die Füße, um sein Weinen mit Händen und Körpern zu unterdrücken. Sein Tränenfluß rann schwächer und versiegte dann.
    Einen langen atemlosen Moment warteten sie und horchten, ob Blugg aufgeweckt worden war. Sie lauschten auf seinen schweren Tritt, der die Stufen heraufkam, das ärgerliche Quietschen alten Holzes, versuchten die schale Aura von Gewalt und kaum unterdrücktem Ärger zu erspüren, die er vor sich herschob. Selbst Rooster sah erschrocken aus.
    Aber nichts folgte, kein Geräusch außer dem Knurren der Cyborghunde auf Patrouille, dem Klirren und Rascheln der Drachen in den Höfen, die sich rastlos in ihren Ketten rührten, und dem fernen, unter der Hörschwelle liegenden Geläut von Mitternachtsglocken, die irgendeine Feier von Waldgeistern ankündigten.
    Sie entspannten sich.
    Welch eine bibbernde, kümmerliche Bande sie doch waren! Jane verspürte Mitleid für alle, das sie selbst nicht ausschloß. Dann überkam sie eine Art Stärke, die sich kaum von Verzweiflung unterschied, und erfüllte sie mit Entschlossenheit, als wäre sie nichts weiter als eine leere Gußform gewesen, deren Gliedmaßen und Rumpf jäh mit geschmolzenem Eisen ausgegossen worden waren. Sie brannte vor Zielstrebigkeit. In jenem Augenblick ging ihr auf, daß sie, wenn sie je frei sein wollte, hart und gnadenlos sein mußte. Ihre kindische Schwäche mußte sie hinter sich lassen. Innerlich schwor sie sich bei ihrer Seele, daß sie hierfür alles täte, was nötig wäre, alles, gleich wie erschreckend, wie schändlich, wie falsch es wäre.
    »Also gut«, sagte sie. »Ich werd’s tun.«
    »Schön.« Ohne ein Nicken des Dankes machte sich Rooster daran, seinen Anschlag auszuarbeiten, und wies jedem Kind eine Rolle bei dem Schauspiel zu. Nachdem das erledigt war, brummelte er ein Wort und strich mit einer kurzen Handbewegung über die Kerze. Die Flamme erlosch.
    Jeder hätte sie ganz leicht ausblasen können. Aber das wäre nicht so zufriedenstellend gewesen.

    Die Gießerei war der zweitgrößte Arbeitsbereich in der ganzen Fabrik. Hier wurde das Eisen gegossen, um die unverwundbaren Körper und weniger magiegeschützten Teile der großen Drachen herzustellen. Betongruben bargen den grünen Sand, Sandgemische und Lehmgußformen. An der Decke schwebten Kräne auf Balken, und das Sonnenlicht des Oktobers fiel schräg durch den Staub in der Luft, der eifrig von den riesigen Flügeln der Ventilatoren aufgewühlt wurde.
    Zu Mittag kam eine alte Seehexe mit dem Essenskarren vorüber, und Jane erhielt ihre Portion, ein in Folie verpacktes Sandwich und einen Becher lauwarmen Grapefruitsaft. Sie ließ ihre Gemslederhandschuhe an der Werkbank zurück und trug ihr Essen zu einer warmen, staubigen Nische neben einer hölzernen Abfalltonne, die angefüllt war mit Eisenschrott, ein Gewirr aus Klauen, Schuppen und Zahnrädern.
    Jane stellte den Pappbecher neben sich, machte es sich bequem und glättete den groben braunen Rock über den Knien. Sie schloß die Augen und tat so, als befände sie sich in einem Wolkenpalast hochgestellter Elfen. Die Lords und Ladys saßen an einem langen Tisch ganz aus Marmor und Spitze, der beherrscht wurde von dünnen Wachskerzen in silbernen Haltern. Die Ladys hatten

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