Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
Vom Netzwerk:
war.
    Stolpernd huschte Jane über den riesigen leeren Raum, der sie von Bluggs Büro trennte. Sie war verblüfft über den eigenen Mut und hatte schreckliche Angst, daß sie erwischt werden würde. Hinter ihr schlug der Hammer erneut nieder. Die Schwingungen kitzelten an den Fußsohlen. Dann war sie im Büro. Augenblicklich trat sie zur Seite, wo die Wand sie verbergen würde, und richtete sich auf, um die Fassung wiederzugewinnen.
    Krach! Der Hammer fiel ein drittes Mal. Leute riefen, rannten, kreischten.
    Das Büro war eng und unordentlich. Auf dem Fußboden lagen haufenweise technische Handbücher. Der Abfallkorb quoll über von Müll. Wasserfleckige Pläne für geflügelte Drachen, die schon seit Jahrzehnten veraltet waren, hingen an den Wänden. Daneben waren Produktionspläne angeheftet, die an den Kanten braun geworden waren, sowie ein SICHERHEIT-GEHT-VOR-Poster. Das Poster zeigte eine gezeichnete Hand, die den Zeigefinger hochhielt. Um diesen war knapp unterhalb des zweiten Knöchels ein Band zu einer Schleife gebunden.
    Das einzige bißchen Farbe bot ein von einem Zulieferer geschenkter Kalender mit dem Bild einer nackten Wassernixe, fett wie eine Seekuh, die sich auf den Felsen lümmelte. Einen Augenblick lang starrte Jane diese rosafarbenen Rundungen marshmallow-weichen Fleischs an, als wäre das Bild ein Fenster in ein fremdartiges und bedrohliches Universum. Dann schüttelte sie sich den Kopf frei und schoß zum Schreibtisch.
    Der Aschenbecher aus gepreßtem Metall war genau dort, wo er sein sollte. Eine Zigarette qualmte auf der Ablage, auf einer Seite noch immer feucht. Zaghaft nahm sie das stinkende Ding zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt es zur Seite. Beeilung! dachte sie. In der Asche lag etwas, das aussah wie sieben aus gelbem Elfenbein geschnitzte Halbmonde. Sie nahm zwei heraus, legte die Zigarette zurück, fuhr herum und wollte gehen.
    Aber dann blieb ihr Blick an etwas Grünem hängen, und sie sah in den Papierkorb hinab. Die Kante eines Buchs stach aus dem Müll heraus. Ohne daß sie einen Grund dafür gewußt hätte, schob sie das Papier beiseite und schaute nach, was es war. Dann hielt sie den Atem an.
    Ein Zauberbuch!
    Es war ein dickes Buch in einem genarbten grünen Vinyleinband. Vorne drauf war das Firmenlogo und darunter ein Titel in erhabenen Goldrandlettern, den sie nicht lesen konnte. Drei Chromringe hielten die Seiten fest, so daß sie leicht herausgenommen und auf den neuesten Stand gebracht werden konnten. Jane sah es mit offenem Mund an und kam dann wieder zu sich. Zauberbücher waren unvorstellbar wertvoll und so selten, daß jedes durchnumeriert und registriert wurde. Unmöglich, daß eines hier sein Ende finden sollte, hier in Bluggs Büro, und noch unmöglicher, daß es dann als wertlos weggeworfen würde.
    Dennoch ... es zu berühren würde nicht weh tun.
    Sie berührte es, und ein numinoses Gefühl von Essenz floß ihr den Arm hoch. In gewisser Weise anders als alles, was sie je gefühlt hatte, ehe der Band zu ihr sprach. Es war wirklich! Jenseits allen Zweifels oder aller Möglichkeiten einer Täuschung war das Buch ein echtes Zauberbuch. Hier, in ihrer Reichweite, war echte Magie: Rezepte für Höllenfeuer und Rache, Geheimnisse, die imstande waren, Städte einzuebnen, Technologien der Unsichtbarkeit und der ekstatischen Grausamkeit, genügend Macht, um die Toten auferstehen zu lassen und die Hölle selbst zu peinigen.
    Einen langen zeitlosen Augenblick sprach sie mit dem Zauberbuch, ließ sich von ihm durchfluten und besitzen. Schließlich wurden seine geflüsterten Versprechungen leiser und verstummten.
    Sie grub es aus dem Papier heraus.
    Es war zu groß, um es in einer Hand zu tragen. Jane steckte die gestohlenen Fingernägelschnipsel in den Mund, wo sie sie zwischen Lippe und Zahnfleisch festhielt, und packte das Buch mit beiden Händen.
    In diesem Augenblick ertönte ein schriller Pfiff. Sie drehte sich um. Dort in der Tür stand der Schattenjunge, zurückgehalten von den Fetischbündeln, die an die Pfosten genagelt waren, und drängte sie mit ängstlichen Armbewegungen herauszukommen. Ein Blick an ihm vorbei zeigte ihr, daß der Sand Slinger überwältigt worden war. Rooster wurde von einem der Hogmen festgehalten. Die Zuschauer brachen auf, einige in kleinen Gruppen, um zu besprechen, was sie gesehen hatten, andere kehrten zu ihren Jobs zurück.
    Sie lief aus dem Raum, wobei sie das Buch in den Armen hielt. Es wog eine Tonne, und sie stolperte unter seinem

Weitere Kostenlose Bücher