Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
Vom Netzwerk:
Mechanismus kein Geräusch von sich. Es dauerte nicht lange, bis sie merkte, daß sie den eingepökelten Kobold in dem Ebenholzschränkchen anstarrte. Ich hasse dich, besagte sein erstarrter Gesichtsausdruck, weil du dich bewegen kannst, und ich nicht, weil du eine Freiheit hast, die mir stets verwehrt bleiben wird, und dennoch nichts damit anfängst.
    Jane rutschte auf dem Stuhl hin und her.
    An einer Wand standen einige Glasregale, die von verborgenen Glühbirnen erleuchtet wurden und in einem kalten und unfreundlichen Glanz erstrahlten. Darauf lagen in ordentlichen Reihen Eier, eine ungesunde Vielfalt an gleich großen Eiern. Geschnitten waren sie aus Schmuckmalachit und Obsidian mit Einsprengseln, grünem Onyx und rosafarbenem Onyx, goldenem, Rutilnadeln enthaltendem Quarz und blauem Feueropal oder sonstigem Kristallglas. Sie enthielten Miniaturszenen, Städte und Berglandschaften, Kinder beim Spiel, menschenähnliche Fliegen mit Körben voller Eier, und innerhalb dieser Eier waren kleinere Fliegen, die Körbe mit noch kleineren Eiern trugen.
    Jane konnte sich nicht vorstellen, warum der Anblick der Eier sie mit Widerwillen erfüllen sollte, aber es war so. Ihr wurde schon bei ihrem Anblick übel. Als sie sich umwandte, fand sie sich erneut dem verdrießlichen Mund und den Glotzaugen des Homunculus gegenüber.
    Dumm bist du auch.
    Jane zwinkerte. »Hallo?« sagte sie zaghaft.
    Nun, das wurde aber auch Zeit. Du bist auch kein allzu großes Licht, nicht wahr? Geistig zurückgeblieben. Ein bißchen lahmarschig.
    Das war zu grob für eigene flüchtige Gedanken. Verwundert ging Jane zu der Flasche hin und berührte sie an der Seite. Der kleine Mann darin war weiß und aufgeblasen wie ein Bovist, der gleich seine Sporen davonschleuderte. »Bist du lebendig?«
    Bist du’s?
    Jane wich vor der Flasche zurück. Sie sollte wohl etwas sagen. Doch ihr fiel einfach nichts ein, und wenn es um ihr Leben gegangen wäre.
    Frag mich, was ich möchte, schlug das Männchen vor. Das ist immer für einen Lacher gut.
    »Was möchtest du?«
    Ich möchte sterben. Ich möchte die Hexe lebendig in diese Flasche stopfen, so daß sie leiden kann, wie ich gelitten habe. Ich möchte wissen, was da hinter dir steht.
    Jane fuhr herum. Nichts. Als sie sich wieder dem Homunculus zuwandte, bemerkte er zynisch: Nun, natürlich ist es nicht da, wenn du hinsiehst . Es ist diese Sorte von Wesen. Sieh dort zum Amboß. Siehst du diesen Holzhammer? Natürlich siehst du ihn.
    Ein Zwanzig-Pfund-Hammer lag auf dem Amboß, weniger als eine Armeslänge entfernt von dem Homunculus. Man hatte den Hammer so hingelegt, daß er ihn ständig im Blick hatte.
    »Ja.«
    Geh hin zu ihm. Berühre den Hammer. Um mehr bitte ich nicht. Fühlt er sich nicht gut an? So stark und schwer.
    Aus einem Fenster fiel Jane ein schwacher Strahl silbrigen Lichts in den Augenwinkel. Sie wurde ganz benommen davon, und als sie beiseite rückte, tanzten ihr winzige Sonnen vor den Augen. Der Elektroofen summte ununterbrochen. Sie fühlte sich schwach und unwirklich. »Ich ... schätze schon.«
    Laß die Hand am Schaft entlanglaufen. So glatt. Hebe ihn ein wenig an. Spüre sein Gewicht. Spüre, wie sich deine Muskeln bewegen. Ein so feines Gefühl, ein echter Luxus. Du mußt wie ich bewegungsunfähig sein, um es voll zu genießen. Heb ihn ein wenig höher. Schwinge ihn hin und her. Spüre die Kraft des Schwungs, spüre die Anstrengung, die es dich kostet.
    »Du hast recht.« Jane hatte nie zuvor bewußt den Vorgängen ihres Körpers soviel Aufmerksamkeit gewidmet; es war ein interessantes Gefühl. Der Raum schien zu verblassen, hineingezogen zu werden in das immer lauter werdende Summen des elektrischen Heizofens. »Macht Spaß!«
    Jetzt hebe den Hammer über den Kopf. Spüre, wie die Arme unter dem Gewicht zittern. Der Hammerkopf will zum Boden zurück. Er möchte dich aus dem Gleichgewicht bringen und nach unten sausen. Spürst du es?
    »Ja.«
    Dann schwinge ihn herab - jetzt! Zerschmettere die Flasche!
    Einen schwindelerregenden Augenblick lang wollte Jane gehorchen. »Nein!« Sie lenkte den Hammer zur Seite, und er fiel klirrend auf den Amboß. Sie wich zu ihrem Stuhl zurück. »Warum hast du das getan?«
    Oh, hör nicht auf. Wir sind doch schon so nah dran! Erlöse mich! Gewähre mir Vergessen! Du kannst der Hexe sagen, daß ich es dir gesagt habe.
    Jane rührte sich nicht vom Stuhl. »Ja, schön, und was wird sie tun, wenn sie entdeckt, daß ich ihr Ding zerschlagen habe? Ihre Flasche.

Weitere Kostenlose Bücher