Die Tochter des stählernen Drachen
»Ist für dich.«
»Gra’ merci.« Sie streckte einen dürren Arm aus.
Jane riß das Amulett zurück. »Das kostet was.«
Die dunklen Augen wurden lichtlos und kühl, die Lippen teilten sich und zeigten kleine perlenhafte Fänge. Jane verhandelte dennoch weiter. »Wo kann ich brauchbare Informationen über Empfängnisverhütung bekommen?«
Blankes Erstaunen. Dann: »Empfängnisverhütung? Du? «
Das Libellen-Mädchen warf den Kopf zu einem wilden elfenhaften Gelächter in den Nacken.
»Willst du sie oder nicht?«
»Reich rüber!«
Das Amulett traf die Handfläche des Libellen-Mädchens, und schon war es verschwunden. Das Mädchen drehte sich um und schritt davon. Aber in der Luft hinter ihm schwebten die Worte: »Peg o’the Landfill. Sie wird Silber dafür verlangen.«
Jane benötigte Wochen, bis sie genügend Mut gefaßt hatte. Aber an einem kalten und regnerischen Morgen stand sie zitternd in einer zu dünnen Windjacke vor Pegs Wohnung. Es war ein heruntergekommenes Reihenhaus aus rotem Backstein, eines jener Häuser, die mit dem Rücken zur Müllkippe standen. Ein verrostetes Zinnschild mit einer Doppelaxt darauf war der einzige Hinweis, daß im Innern eine Hexe wohnte. Ein Riß lief schräg die Frontseite hinauf, wodurch die Backsteine zu beiden Seiten buchstäblich schielten, und über die Innenseiten der Fenster waren Kunststoffplanen geheftet worden. Die Rollos waren herabgelassen.
Jane starrte die Schwelle an und brachte es nicht fertig näher zu treten. Abgesehen von jener verzweifelten Nacht, da sie der Drachenfabrik entkommen waren, hatte sie sich Melanchthon niemals widersetzt, jedenfalls nicht richtig und schon gar nicht bei etwas Wichtigem. Und gewiß nicht bei so etwas! Hierherzukommen war im Grunde bereits ein Vertrauensbruch, denn Jungfräulichkeit war eine unabdingbare Voraussetzung für angewandte Ingenieur-Magie. Sie kannte die technologischen Gründe hierfür nicht; aber sie wußte, daß alle großen Firmen ihre Ingenieure kastrierten, ehe sie ihnen irgendwelche wichtige Arbeit anvertrauten.
Sie holte den Papierschnipsel aus der Taschen, den sie dem Baldwynn gestohlen hatte. Er war fest zusammengefaltet. Die Ecken waren vom wiederholten Gebrauch ausgefranst und grau. Sie öffnete ihn, las ihn durch. Seine Aussage war unverändert.
Hol tief Luft, sagte sie zu sich. Geh die Stufen hinauf. Geh zur Tür. Klopfe an.
Sie tat es.
Ein langes Schweigen, ein Quietschen und dann weiteres Schweigen. Die Tür öffnete sich. »Ja? Was willste?«
Peg war ein altes fettes, stark geschminktes Weib. Sie hatte eine Zigarette im Mundwinkel hängen. Sie trug einen Frottiermantel und ein abgenutztes Paar brauner Flip-Flops. Unter den Augen hatte sie Ringe, und in der Hand hielt sie einen Kaffeebecher.
»Wenn Sie möchten, komm ich später noch mal zurück«, sagte Jane hastig. »Ich hab Sie nicht wecken wollen oder so.«
Eine nachgezogene Braue hob sich. Rote Lippen schürzten sich geringschätzig. »Rein oder raus, nur nich auf der Schwelle stehenbleiben. Ich frier mir hier draußen den Arsch ab.« Peg hielt die Tür auf, und Jane quetschte sich an ihr vorbei, wobei sie den weichen Bauch und die gewaltigen Brüste streifte. Ein schaler Geruch, eine Mischung aus Nikotin und Weihrauch, entströmte dem Frottiermantel.
Ein Fernseher flackerte im Kamin. Bilder von Flüchtlingen, die vor der Gewalt in Carcassonne flohen. Peg schnippte gereizt mit dem Finger, und er ging aus. Das Wohnzimmer war klein und stickig. Es war überladen mit Schreibpulten, Tischchen, einem winzigen Amboß, Radierungen gehäuteter Pferde, einem Apothekenschränkchen aus Ebenholz, einem in Lake konservierten Homunculus. Es entstand der Eindruck einer Collage aus Bildern, die man aus verschiedenen Zeitschriften herausgerissen hatte; das Auge konnte es nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen.
»Setz dich!« forderte Peg sie auf. »Ich werd mir was anziehen.« Sie verschwand hinter einem Vorhang, wobei die Ringe rasselten.
Jane legte die Hände auf die Knie und wartete. Ein elektrischer Heizkörper in der Mitte des Raums summte und klapperte. Er sorgte dafür, daß ihr auf der einen Seite heiß und auf der anderen kalt war. Der Homunculus starrte sie mit erstaunten toten Augen an, als wollte er sagen: Bist du aber häßlich!
Sie sah weg. In einer Vakuumglocke auf dem Kaminsims stand eine Goldbronze-Uhr. Jane sah den Zeiger im Sekundenabstand verzweifelt zucken, aber weil die ganze Luft herausgepumpt worden war, gab der
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