Die Tochter des Teufels
dunklen Locken blieb auf der Treppe stehen und musterte den düsteren Besucher. Keine Angst hatte sie, das sah man. Im Gegenteil, sie neigte das Köpfchen zur Seite und betrachtete den Mann voll Interesse und Neugier. Sie trug ein Kleidchen aus dunkelrotem Samt, an den Ärmeln und am Kragen mit weißer, reicher Spitze besetzt.
»Wer bist du?« fragte das Mädchen mit heller Stimme. »Warum jammert Klaschka so? Hast du ihr etwas getan? Wer Klaschka etwas tut, ist ein böser Mensch! Bist du ein böser Mensch?«
Rasputin schwieg. Mit leuchtenden Augen sah er Nadja an. Seine Lippen zuckten, als weine er innerlich, ein Zittern lief über seine unrasierten Wangen, und seine großen magischen Hände strichen lautlos über seine Brust und den vom Wetter ausgelaugten Kittel.
»Das ist Nadja, nicht wahr?« fragte er nach einer Weile.
»Der Herr erbarme sich unser … Der Herr erbarme sich unser …«, stammelte die Alte.
»Welch ein schönes Kind!« sagte Rasputin leise. »Der ganze Glanz der Mutter liegt über ihrem Wesen.« Er ließ ein Bündel fallen, das er unter den Arm geklemmt hatte, und trat einen Schritt vor. Nadja blieb unerschrocken auf der Treppe stehen.
»Bist du ein Bettler?« fragte sie herrisch. »Du trittst auf wie ein Herr! Warum sagst du nichts?«
»Auch Bettler können Herren sein, mein Kind.« Rasputin war am Fuß der Treppe stehengeblieben. Über ihm glänzte der Kopf des Kindes im Schein einer starken Petroleumlampe. Sie hat meine Augen, dachte er. Wenn ich nie im Leben glücklich war – jetzt darf ich es sein, ohne Gott zu beleidigen. »Weißt du nicht, daß auch Christus wie ein Bettler durch die Lande zog?«
»Bist du ein Pilger?« Das Mädchen verzog den Mund.
»Nein«, sagte Rasputin.
»Ein wandernder Strannik?« Der Mund des Kindes verzog sich noch mehr. »Ich höre dich nicht an! Du lügst! Alle lügen, die von meinem Vater erzählen. Sie lügen wegen eines Tellers Suppe, wegen einer Scheibe Brot treten sie meinen Vater in den Schmutz. Geh! Du bist wirklich ein böser Mensch!«
Zum erstenmal in seinem Leben senkte Rasputin den Kopf vor dem Blick eines anderen Menschen. Fast demütig sah er auf seine dreckigen Stiefel. Er spürte den heißen Blick seines Kindes im Nacken, und er wußte, daß sie jetzt sah, wie ungewaschen er war. Da schämte er sich und wunderte sich maßlos, daß es noch Scham in ihm gab.
»Führe mich zu deiner Mutter, Nadja …«, sagte er langsam. »Sie wartet auf mich seit sechs Jahren.«
»Ich führe dich nicht hin, wenn du Schlechtes über meinen Vater erzählen willst!« antwortete das Kind laut.
Rasputin schüttelte den Kopf. »Ich werde nur Gutes berichten, Nadja. Dein Mütterchen wird glücklich sein.«
»Dann komm …« Nadja hielt ihm die Hand entgegen, und er ergriff sie, beugte sich darüber und küßte die kleinen, zarten, nach Rosen duftenden Finger.
»Was tust du da?« sagte Nadja und zog ihre Hand zurück. Zum erstenmal kam Schrecken in ihre schönen großen Augen.
»Ich bin ein glücklicher Mensch, Nadja.« Rasputin stieg die Treppen empor. »Ich werde ausruhen von den Jahren der Sünde und Buße tun …«
Unten an der Tür stand noch immer die alte Klaschka mit gefalteten Händen.
»Der Herr sei bei uns …«, stammelte sie noch einmal, als oben die Tür aufging und ein heller Schrei Helena Feodorownas durch das stille Haus flog.
»Grigori Jefimowitsch!«
»Mein goldenes Täubchen …«
Die Tür fiel zu, als sei es eine Höllenpforte.
So wenigstens klang es in den Ohren der alten, einfältigen Klaschka.
Bis zum Weihnachtsfest blieb Rasputin in Podunskoje.
Er sprach mit Väterchen Pjotr über Gott und Teufel, und der Pope wußte zu sagen, daß Rasputin ein ungeheuer weiser Mann geworden war.
Mit der kleinen Nadja fuhr er in einem Schlitten mit zwei Pferden den zugefrorenen Fluß entlang, zeigte ihr, wie man in aufgeschlagenen Löchern Fische unter dem Eis fängt, jagte mit ihr zu den Wäldern der beginnenden Taiga und erschlug vor ihren Augen mit einem einfachen Knüppel einen großen grauen Wolf. Er baute Schneemänner mit ihr und balgte sich mit ihr auf der Erde; er kroch im Haus herum, und Nadja ritt auf ihm und gab ihm die Sporen; er fuhr mit ihr nach Tobolsk und kaufte ihr einen warmen weißen Fuchspelzmantel und schaukelte mit ihr und kegelte in dem langen Flur, der den Küchentrakt von dem Wohntrakt trennte.
»Ist er nicht ein wunderbarer Vater?« sagte Helena Feodorowna glücklich. »Sag es, Klaschka! Gibt es einen besseren
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