Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
neben sie und begann sie zu ohrfeigen. »Nadja!« rief er dabei. »Wach auf, Nadja Grigorijewna! Wach auf! Nadja!«
    Eine ganze Stunde tobte sie, dann hörte ihr Schreien auf. Sie lag, an den Armen gefesselt, völlig ruhig und starrte an die Decke.
    »Nimm mich zu dir, Väterchen«, sagte sie, und ihre Stimme war so kindlich, daß Saparin erschrak. Er sah sich um und erschauerte. Leer war das Zimmer, aber er spürte ein Gefühl im Nacken, als sei er nicht allein mit Nadja.
    »Geh nicht ohne mich, Väterchen«, sagte Nadja und hob den Kopf. »Nimm mich mit. Nimm dein Töchterchen Nadja mit zu dir … ich will nicht mehr auf dieser Welt sein … Ich will zu dir, Väterchen … komm, laß mich deine Hand küssen …«
    Saparin zog den Kopf zwischen die Schultern, kniete am Bett nieder und bekreuzigte sich. Er sah nichts … und doch wußte er tief in seiner Seele, daß Grigori Jefimowitsch Rasputin im Zimmer war und mit seiner Tochter weinte …
    Es war der erste Augusttag, als die Voltaire, ein altes klappriges Dampfschiff, in den Hafen von Le Havre einfuhr. Die Sirenen des Schiffes heulten, die Kräne am Kai schwenkten ein, nur wenige Menschen standen hinter den Schuppen und warteten auf die Ankommenden, denn außer Baumwolle und Trockenfleisch für das notleidende Europa kamen nur zehn Passagiere mit, armselige Rückwanderer, die in Amerika gescheitert waren.
    Saparin klopfte an die Tür von Nadjas Kabine. »Frankreich!« rief er. »Wir sind da! Komm heraus, Nadja! Ein herrlicher Tag ist's! Le Havre sieht viel schöner aus als damals, als wir abfuhren. Das mußt du sehen!« Dann lief er an Deck zurück und stellte sich neben den Ingenieur, der ein Fernglas um den Hals hängen hatte.
    »Darf ich einmal durch das Glas sehen?« fragte Saparin höflich. »Ich erwarte jemanden.«
    »Bitte.« Der Ingenieur hob sein Glas über den Kopf und gab es Saparin. Mit klopfendem Herzen suchte Saparin den Kai ab, dann sah er, was er suchte, und er lächelte glücklich und lehnte sich an die Reling.
    Mit einem Geheimnis kam er in Frankreich an. Als sie in New York an Bord der Voltaire gingen, hatte Saparin ein Telegramm aufgegeben, von dem Nadja nichts wußte. Ein Versuch von Saparin war es gewesen, eine Friedenshand, die er dem Schicksal entgegenstreckte. Er war nicht sicher, ob es Sinn hatte, und nun sah er die Erfüllung drüben am Kai stehen und bekam neue Angst, was Nadja dazu sagen würde. Er rannte zurück zur Kabine und klopfte wieder an die Tür. »Wir legen gleich an!« rief er durch das Schlüsselloch. »Das solltest du nicht verpassen! Die Heimat ist wieder da!«
    Er wartete und dachte an die vergangenen Wochen. Schrecklich waren sie gewesen. Das Begräbnis Castors, an dessen Grube Nadja sich losriß und dem Sarg nachspringen wollte, die Tage des Wartens bis zur Abfahrt nach New York, in denen sie den letzten Löwen Sultan verkauften, die kurze Zeit in New York und schließlich die Überfahrt, wo sich Nadja in ihre Kabine einschloß, mit Helena spielte, durch das Bullauge ins Meer starrte und sich verfluchte, daß sie lebte.
    Ein Gittersteg mit Planken wurde vom Kai herangeschoben. Stimmen schrien, Taue flogen durch die Luft. Die zehn Rückkehrer verließen das Schiff. Als letzte gingen Nadja, Helena und Saparin von Bord. Sie hatten sich wie Kinder an den Händen gefaßt. Was sie zu tragen hatten, trug Saparin an einem Lederriemen über Brust und Rücken. Zwei Koffer aus Pappe. Das war alles, was sie aus Amerika mitbrachten. Zwei Pappkoffer.
    Sie betraten den Boden Frankreichs ärmer als damals nach der Revolution in Rußland. Damals trugen sie in ihrem Gepäck die Hoffnung. Sie war das erste, was sich abnutzte in der Fremde.
    »Da steht jemand«, sagte Saparin leichthin und blieb zurück. »Tatsächlich, er wartet auf uns … er holt uns ab … So bekannt kommt er mir vor.«
    Er blieb stehen, setzte die Pappkoffer auf den Boden und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nadja ging langsam weiter, Helena an der Hand. Sie trug ein kurzes Kleidchen, und man sah die großen Brandwunden an den Beinen, die rote, zusammengeschrumpfte Haut.
    Ihnen entgegen kam ebenso langsam ein Mann. In zwei Meter Entfernung blieben sie voreinander stehen und sahen sich eine Weile stumm an. Nadjas große dunkle Augen waren leer … es schien, als blicke sie durch den Mann hindurch wie durch einen gläsernen Körper.
    »Du?« sagte sie endlich.
    »Ja.«
    Jean Gabriel senkte den Kopf. Wie furchtbar sie aussieht, dachte er. Wie zerstört sie ist.

Weitere Kostenlose Bücher