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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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vom Gelehrten und Sekretär zum feigen Verräter hatte er mit allzu wenigen Schritten bewältigt.
    Â»Au!«, entfuhr ihm ein Schmerzenslaut, als er eine Hand gegen seine Wange legte, um nach der Stelle zu fühlen, an der ihm der Zahn herausgebrochen worden war. Etwas Nelkenöl würde den Schmerz lindern, doch wo bekam er das in dieser Einöde her? Und wo war er überhaupt?
    Vorsichtig trat er um die Ecke der verlassenen Behausung und fand sich direkt an einer breiten Straße. Wagenspuren und Pferdemist deuteten darauf hin, dass es sich um eine vielbefahrene Straße handelte. Immerhin, das war ein Anfang. Die Kleidung, die sie ihm im Gefängnis gegeben hatten, saß schlecht und stank nach ranzigem Fett. Verfluchte Banditen! Zumindest seine Kleider hätten sie ihm zurückgeben können, wenn er schon für sie als Spion agieren sollte. Welch ein lächerliches Wort für einen Mann wie ihn, der in dieser Situation keine Wahl hatte und nichts weiter als eine jammervolle Gestalt, ein winselnder Verräter war, weil er mehr an seinem Leben als an seinem Stolz hing. Würde Gott ihm vergeben? Der Papst würde alles vergeben, was in seinem Namen und zu seinen Gunsten geschah, denn der Papst war niemand anderem als sich selbst gegenüber loyal. Und war nicht der Papst der Stellvertreter Gottes auf Erden?
    Mari trat gegen die Bretter, die der Hütte als Tür dienten, und blickte in den dunklen Raum. Ein Schwarm Fliegen summte laut über einem Haufen Unrat. Durch ein schmales Loch in der Wand fiel etwas Sonnenlicht, zeigte ihm jedoch nicht mehr als vermoderte Bänke und Holzstücke, die überall herumlagen. Ein zerbrochener Topf, ein Korb mit schimmeligen Rüben, zerschlissene Stofffetzen und Gräser, die aus dem aufgerissenen Lehmboden wuchsen, vermittelten den Eindruck, dass vor ihm schon andere alles Brauchbare mitgenommen hatten. Enttäuscht trat Mari wieder vor die Behausung und blinzelte in die warme Nachmittagssonne. Wie hatte er nur so tief sinken können? Vom Liebling der Reichen und Gebildeten hinab zum Verräter seines Herrn, seines Gelübdes als Mann der Kirche und seiner Freunde. Aber damit war er nicht besser und nicht schlechter als Clemens VII. selbst, und rechtfertigte das nicht alles?
    Er streckte die Arme zur Seite, atmete tief die würzige Luft ein und suchte die Straße in beiden Richtungen ab. Von links schien sich jemand zu nähern, eine Staubwolke mischte sich mit der flimmernden Luft über der Hügellandschaft. Vor ihm begann ein Waldstück, das sich bis über den nächsten Hügel erstreckte, und daneben brachen Weinstöcke und Felder die Landschaft auf. Von irgendwoher erklang eine Kirchenglocke, und jetzt nahm er auch das Rauschen von Wasser wahr. Sein Mund klebte, und er schwitzte. Durstig machte er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Rauschens. Die Staubwolke war noch weit genug entfernt. Bis die Leute hier ankämen, wäre er allemal zurück. Hastig überquerte er die sandige Straße, wobei die spitzen Steinchen ihm in die Fußsohlen stachen, die lediglich von dünnen Ledersohlen geschützt wurden. Seine schönen Stiefel hatte man ihm auch gestohlen.
    Das Rauschen wurde lauter, und nach etwa zweihundert Schritten sah er den Fluss vor sich. Glücklich rutschte Mari die matschige und von Schilf bewachsene Uferböschung hinunter und stellte sich in das kühle Nass. Es störte ihn nicht, dass seine Hosenbeine sich voll Wasser sogen, vielmehr beugte er sich vor und bespritzte sich auch Gesicht und Brust. Dann trank er mehrere lange Züge und stapfte schließlich wassertriefend zurück zur Straße, auf der er nun bereits einen Ochsenkarren erkennen konnte. Ein hagerer Bauer, dessen gegerbte Haut von anstrengender Arbeit im Freien sprach, schlurfte neben dem Gefährt einher.
    Â»Guter Mann!«, sprach Mari den Ankommenden an. »Wo sind wir hier? Ich bin ausgeraubt und verschleppt worden.«
    Skeptisch musterte der Bauer den zerlumpten Mann, der vor ihm stand und kaum wie ein wohlhabender Reisender aussah. Doch Maris gepflegte Sprache überzeugte ihn. »Wir sind auf der Via Lombarda. Hinter uns liegen Marlia und San Colombano, und Richtung Nordosten kommen wir nach Matraia. Wo wollt Ihr denn hin?«
    Also hatte er im Serchio seine Füße gekühlt. »Nach Matraia. Ich gebe Euch einen halben Scudo, wenn Ihr mich hinbringt.« Mari klimperte mit dem Beutel an seinem

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