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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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vor der zur begehrten Kurtisane avancierten Marcina war in jeder Zeile spürbar. Obwohl Beatrice gegen Marcina wegen des Messerangriffs vor Gericht gegangen war, hatte sich die Kurtisane mit Hilfe eines reichen Gönners ohne Strafe aus der Affäre ziehen können. Sollte er die Frau jemals wiedersehen, konnte sie sicher sein, dass sie ihre gerechte Strafe erhielt. Er hatte keine Skrupel, sie zu töten.
    Tomeo ging regelmäßig die Wälle ab und fragte sich, warum die Armee der Liga sie nicht überrollte, denn sie wären eine leichte Beute für die Übermacht gewesen. Doch dann erfuhren sie, dass Clemens große Truppenteile nach Rom zurückbeordert und gar aus seinen Diensten entlassen hatte. Nur den Condottiere Giovanni delle Bande Nere ließ er mit viertausend Mann vor Mailand. Der Papst war voller Angst und spielte sogar mit dem Gedanken, nach Barcelona zu gehen, um Frieden mit dem Kaiser zu schließen. Es gab kaum noch genügend Fleisch und Brot in der Stadt. Wo immer die Soldaten ein Huhn oder gar ein Schwein auftrieben, wurde es unter lautem Geschrei ins Lager gebracht. Und dann kam im Oktober die Nachricht, dass Karl Nachschub aus Spanien schickte: Eine Flotte von siebentausend Mann war von Cartagena nach Neapel unter Führung von Lannoy, dem Vizekönig von Neapel, unterwegs. Zur selben Zeit war es den Habsburgern gelungen, Frundsberg, den alternden Tiroler Kriegshelden, zur Hilfe für die bedrängten kaiserlichen Truppen in Mailand zu gewinnen.
    Tuveh ben Schemuel öffnete seinen Laden nur noch an zwei Tagen in der Woche, denn er hatte kaum noch Waren, die er verkaufen konnte. Durch Tomeos Fürsprache waren er und seine Glaubensbrüder von den Söldnern verschont geblieben, was einem Wunder gleichkam.
    Heute brachte Tomeo bei seinem Besuch kandierte Früchte mit, die Gian Marco ergaunert hatte. Der Bursche hatte ein unerschöpfliches Talent, wenn es um die Beschaffung von Lebensmitteln ging, und Tomeo stellte keine Fragen.
    Der jüdische Goldhändler hatte die Teegläser herausgeholt, und Tomeo setzte sich zu ihm an den kleinen Tisch, an dem sie nun schon viele Stunden bei Gesprächen oder auch in einträchtigem Schweigen verbracht hatten. »Schalom, mein Freund.«
    Tomeo trank einen Schluck des heißen Getränks und sah sein Gegenüber an. »Frundsberg hat es fertiggebracht, zwölftausend Männer in Tirol zu sammeln. Es heißt, er hat seine eigenen Schlösser und Güter dafür versetzt. Der Alte soll gesagt haben: ›Viel Feind, viel Ehr‹, er will mit der Hilfe Gottes hindurchdringen, den Kaiser und sein Volk zu retten.«
    Tuveh zog an seinem Bart. »Dann sind sie nicht mehr aufzuhalten. Wisst Ihr, Tomeo, bislang war das ein Krieg zwischen dem Kaiser, dem französischen König und dem Papst, aber jetzt …« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt machen die Rotten den neuen Glauben zu ihrem Schild und Schwert, und sie werden nicht ruhen, bis sie in Rom sind. Rom ist ihr Ziel. Davon werden sie nicht lassen.«
    Vor Schreck verschluckte Tomeo sich an seinem Tee. »Aber nein, Tuveh! Die Landsknechte sind ein wilder Haufen, aber wir haben sie doch bändigen können! Sie kommen, um Mailand zu halten.«
    Â»Nein, mein Freund, das wird ein blutiger Kreuzzug. Und weil Clemens keine Freunde hat, wird es ihm nicht gelingen, sie aufzuhalten. Dafür bräuchte er Männer, die mit dem Herzen für ihn kämpfen, doch die hat er nicht, weil er jeden Einzelnen irgendwann einmal enttäuscht und hintergangen hat. Sie werden wie ein Feuerdrachen durch Italien ziehen und eine Schneise der Verwüstung hinter sich lassen, und alle werden gelähmt vor Schreck sein und nicht glauben, dass dieser Mörderhaufen es tatsächlich bis nach Rom schafft. Und wenn sie aus ihrer Erstarrung erwachen – dann wird es bereits zu spät sein.« Tuveh lächelte und biss in eine kandierte Orangenscheibe.
    Â»Mein Gott, ich kann nur hoffen, dass die Zukunft Eure apokalyptische Vision Lügen strafen wird.« Doch Tomeo ahnte, dass der Jude recht behalten sollte.
    Als der letzte große Heerführer der Päpstlichen, Giovanni delle Bande Nere, am fünfundzwanzigsten November 1526 an der Minciobrücke tödlich getroffen vom Pferd stürzte, brachen die letzten Barrieren, die die Landsknechte noch hätten aufhalten können. Giovanni de’ Medici, die letzte Hoffnung des Papstes, starb wenige

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