Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dir gut?«
»Ich habe
gehofft, dich hier zu treffen«, gab sie zurück. Ihr Ton ließ vermuten, dass sie
das vertrauliche Du lieber wieder durch ein Ihr ersetzt hätte.
»Ich freue
mich«, antwortete er. Was sollte er auch sonst sagen? »Wollen wir ein bisschen gehen?«
Sie nickte
und lief ein paar Augenblicke schweigend an seiner Seite. Sie hielt Abstand, sah
ihn nicht an, als sie endlich zu sprechen begann.
»Ich brauche
noch ein einziges Mal deine Hilfe. Geschäftlich.« Das letzte Wort fügte sie hastig
an, so als bestünde die Gefahr, er könne sie falsch verstehen. Er verstand sie richtig.
Ihre Haltung war deutlich genug.
»Du hast
noch nicht aufgegeben?«
»Ich sagte,
ich brauche dich geschäftlich. Wenn ich eine Moralpredigt brauche, dann frage ich
meine Schwester.« Ihr Ton war so unvermittelt aggressiv geworden, dass er beschwichtigend
die Hände hob.
»Schon gut.
Was willst du?«
Sie erläuterte
ihm ihre Idee, und mit jedem Satz, den sie sagte, gewann sie mehr und mehr sein
Interesse. Es hörte sich gut an, was sie plante, so gut, dass er sich ärgerte, nicht
selbst darauf gekommen zu sein. Sie wies ihn zurück, behandelte ihn abweisend, dennoch
wusste er schon zu Beginn, dass er ihr helfen würde. Und wenn es das Letzte war,
was er für sie tat.
»Mein Freund
Mathies reist bald gen Süden. Er wird deinen Auftrag ausführen.«
»Ich bezahle
alle Transportkosten für meine Ware und beteilige mich an den allgemeinen Kosten.
Dieses Mal werde ich keine Geschenke annehmen.«
»Woher willst
du das Geld nehmen?«
»Wie viel
gibst du mir? Ich bestehe darauf, dass wir einen offiziellen Wechsel ausstellen
mit Siegel des Kontors.«
»Und dem
Segen deines Vaters?«
Sie überging
diese Frage. »Das Kontor sollte als Gegenwert genügen, und das Siegel wird echt
sein.«
Pascal musste
spontan lachen. Sie konnte nicht wissen, dass ihm klar war, wie wenig das Kontor
mit Vicos Schulden noch wert war. Der einzige Wert bestand darin, Winald voll und
ganz in seiner Hand zu haben.
»In Ordnung.«
Er würde sich darauf einlassen, auch wenn er damit ein hohes Risiko einging. Es
war wie das Salz in der Suppe.
Sie wurden
sich einig wie Geschäftspartner. Am Schluss sagte sie nur noch: »Kein Wort zu niemandem.«
Beim Abschied suchte er nach Zuneigung in ihren Augen. Aber er fand nichts. Er sah
ihr hinterher, wie sie mit schnellen Schritten auf das Stadttor zulief und der Stoff
ihres Rockes um ihre Beine schlug. Das Schicksal hat mir eine letzte Gelegenheit
geschenkt, dachte er und: Ich muss dringend mit Martha reden.
Jolanthe traf Martha an der verabredeten
Stelle in einer Gasse hinter dem Münster. Das Erste, was die Freundin tat, war den
Kopf zu schütteln. Dann nahm sie Jolanthe in den Arm. Die hielt sich an ihr fest,
spürte die Wärme und Geborgenheit und blinzelte die Tränen weg.
Schließlich
löste sie sich und sagte: »Du bist die Einzige, die mir geblieben ist.«
»Die Einzige
in einer großen, bösen Welt, hm?«, kam als Antwort.
»Bin ich
dir wieder zu theatralisch?« Es wäre ein Vorwurf gewesen, den sie nicht zum ersten
Mal von Martha zu hören bekam, doch in diesem Moment hätte die Freundin sich das
sparen können, fand sie. Sie fühlte sich gestraft genug und wollte nicht noch Tadel
hören.
»Wenn irgendwas,
dann zu empfindlich. Komm.« Martha winkte sie weiter in die Gasse hinein. »Eine
Freundin wird uns ihre Küche zu Verfügung stellen. Da sind wir ungestörter als hier.«
Jolanthe
folgte ihr zu einem zwei Fenster breiten, dreistöckigen Haus, dessen Fassade schon
bessere Tage gesehen hatte. Der Putz zwischen den Fachwerkbalken hatte sich grau
verfärbt, und ein Laden hing schief in den Angeln. Auf ihr Klopfen hin öffnete eine
ältere Frau die Tür. Sie lächelte, als sie den Besuch erkannte, und wischte sich
die Hände an ihrer Schürze ab.
»Nur herein.
Hab euch ein wenig Suppe gekocht.«
Martha plauderte
mit ihr, doch Jolanthe hörte nicht zu. Stattdessen schaute sie sich im dunklen Flur
um, dessen niedrige Decke von Querbalken gehalten wurde. Es roch nach frisch gebackenem
Brot und Hühnersuppe. Jolanthe traten schon wieder die Tränen in die Augen, so heimelig
fühlte sie sich in diesem wildfremden Haus. Sie musste sich zusammenreißen. Wenn
sie fortan wegen jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrach, würde sie keiner mehr ernst
nehmen. Diese Gefühlsduselei musste ein Ende haben!
Ihre Gastgeberin
führte sie in eine kleine Küche, in der auf einem Tisch zwei Schüsseln gedeckt
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