Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sie nur noch ein einziges Scheit. Sie schimpfte erneut
vor sich hin und wusste doch, dass ihr das nicht nutzte. Nicht einmal auf Jolanthe
konnte sie wütend sein. Seit der Aussprache mit dem Vater verhielt sich die Schwester
demütig. Warum nicht gleich so?, hatte Sieglinde in den letzten Tagen mehrmals gedacht.
Wir hätten uns viel ersparen können.
Heute hatte
sie sich sogar freiwillig angeboten, die Magd bei der Wäsche zu begleiten und zu
unterstützen, damit Katrein Sieglinde schneller wieder zur Verfügung stand. Ihre
Schwester hatte sich gewandelt, und auch wenn sie dem Frieden noch nicht traute,
so wollte Sieglinde doch glauben, dass sich alles zum Besseren neigte. War Jolanthe
jetzt nicht bereit, sich zu fügen, würde sie gehen müssen. Vielleicht hatte sie
dies nun endlich verstanden.
Wenn doch
nur Winald nicht so knauserig geworden wäre! Auch von Vico konnte sie derzeit nichts
erwarten. Wenn das so weiterging, dann würde das bisschen Achtung, welches sie sich
bei den Patrizierfrauen und den Gemahlinnen der wohlhabenden Kaufleute Ulms erarbeitet
hatte, schneller verblassen, als sie ›oh‹ sagen konnte. Sie würde mit Vico reden
müssen. Es ging nicht an, dass er sich aus dem Kontor zurückzog wegen Winalds Zurechtweisung.
Es wurde Zeit, dass sich ihr Mann zusammenriss und im Geschäft des Vaters mitmischte,
auf dass es wieder mehr florierte als bisher. Wozu hatte sie ihn geheiratet, und
wozu hatte er einen Verkäufer in seinem Ladengeschäft? Sicher nicht dafür, dass
er selbst den ganzen Tag dort herumlungerte.
Sie nahm
den Korb für das Holz, schob die Tür mit der Schulter auf und begab sich nach hinten
auf den Hof. Dort nahm sie ein paar Scheite vom Stapel, der viel zu schnell geschrumpft
war in letzter Zeit. Sie würde einen Knecht anheuern müssen, damit er ihnen die
größeren Holzstücke zerkleinerte, die sie weiter hinten aufgeschichtet hatten.
»Gib Gott,
dass Vater mir wenigstes den bewilligt und nicht davon ausgeht, dass ich mich hier
mit der Axt betätige.«
Zurück in
der Küche schob sie Holz ins Feuer und machte sich erneut daran, das Gemüse zu putzen.
Die Katze miaute am offenen Fenster. »Mäuse sollst du jagen, du unnützes Vieh, nicht
betteln.«
Das Tier
blieb von Sieglindes Worten unbeeindruckt und starrte sie mit seinen grünen Augen
an.
»Sitz du
nur da wie eine Statue und versuch, mich zu verhexen. Von mir bekommst du nichts.«
Sieglinde
schnitt eine Möhre in kleine Stücke und gab sie in einen Topf. Als sie sich umdrehte
und die Katze ihr immer noch einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, verlor sie die Geduld.
Mit ein paar Schritten war sie beim Fenster und schob das fauchende Tier nach draußen.
Die Katze federte ihren Fall auf den Boden gekonnt ab, gönnte Sieglinde keines Blickes
mehr und bog geschmeidig um die Hausecke in Richtung Hinterhof.
»So ist
es recht, warum nicht gleich?«
Sieglinde
wollte sich gerade abwenden, da kam ein Junge die Gasse entlanggerannt, blieb atemlos
vor ihrer Tür stehen und klopfte.
»Was ist?
Wen willst du sprechen?«, rief sie ihm zu.
Der Junge
zögerte, schien zu überlegen, ob er nicht lieber Reißaus nehmen sollte. Das kam
ihr merkwürdig vor.
»Komm her!«,
insistierte sie. Er gehorchte.
»Ich muss
Jolanthe Kun sprechen, ist sie da?«, fragte der Junge und schaute zu Sieglinde hoch.
»Du kannst
es mir anvertrauen. Ich bin die Schwester. Wir haben keine Geheimnisse in diesem
Haus.«
Der Kleine
zog seine Brauen zusammen und schüttelte den Kopf. Er trug geflickte, aber ordentliche
Kleidung, aus der Gosse kam er demnach nicht. Ein Bote vom Kaufhaus? Nur was wollte
der von Jolanthe?
»Was soll
das heißen?«, bohrte Sieglinde nach.
»Ich darf
es nur an Jolanthe Kun übergeben, sonst bekomm ich meinen Lohn nicht. Ist sie da?«
»Eine Nachricht?«
Sieglinde hatte das versiegelte Papier entdeckt, das der Bote mit seiner Hand umklammerte.
»Von wem?«
Er zuckte
mit den Schultern und machte einen Schritt zurück.
»Stell dich
nicht dumm. Wer schickt dich?«
Statt eine
Antwort zu geben, drehte er sich um und rannte in die Richtung, aus der er gekommen
war.
Sieglinde
zog sich in die Küche zurück, nahm das Messer, schabte die nächste Möhre. Eine Nachricht
für Jolanthe, die nur ihr übergeben werden durfte? Was war das wieder für eine Teufelei?
Mit einem Mal kam ihr die ungewohnte Fügsamkeit ihrer Schwester gar nicht mehr so
friedlich vor.
Sieglinde
rutschte das Messer aus, die Klinge fuhr ihr in den Finger. Ein ziehender
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