Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hinter sich
schloss. Er machte eine auffordernde Handbewegung. »Du bist zurück?«
Jolanthe
wunderte sich über ihre eigene Ruhe. Der Vater kam ihr gebrechlich vor, so wie er
sich auf die Krücke stützte. Und doch blieb er stehen, offenbar ging es gegen seinen
Stolz, sich hinzusetzen.
»Die Lieferung
Baumwolle ist gestern beim Biberacher Weber Gribel angekommen. Hier ist die Bestätigung.«
Sie legte die Nachricht auf den Tisch neben die Kontorbücher. »Er wird sich laut
meiner Weisung sofort an die Arbeit machen und den Barchent herstellen. Hier habe
ich den Auftrag und das, was Ihr ihm noch zahlen müsst, und hier«, sie zog ein weiteres
Dokument aus ihrem Beutel »Ist der Schuldschein, den Pascal Pallet für mich unterschrieben
hat. Er erwartet die Rückzahlung des Geldes inklusive Zinsen, sobald Ihr den fertigen
Barchent in Ulm verkaufen konntet. Ich erwarte einen guten Gewinn, und wenn Ihr
die Zahlen anseht, so werdet Ihr das bestätigen.«
Winald humpelte
zu dem Tisch und beugte sich über die Papiere. Wie wenn er es nicht glauben wollte,
las er wieder und wieder, kniff die Augen halb zusammen, schien zu rechnen.
Endlich
wandte er sich wieder an Jolanthe. »Ein guter Gewinn, in der Tat.« Er räusperte
sich und schwieg.
»Ich habe
mit diesem Geschäft nun nichts mehr zu tun und ziehe mich zurück. Ihr müsst Euch
um den Verkauf der fertigen Ware kümmern und um den ganzen Rest.«
Winald nickte.
»Da hat Pascal Pallet ja endlich einmal bewiesen, dass er auch einen erfolgreichen
Handel zuwege bringt, obwohl es mich wundert, dass dieser blinde Hund auch mal einen
Knochen gefunden hat.«
Jolanthe
starrte ihren Vater an und verstand zunächst nicht, was er da sagte. Pascal? Warum
der? »Vater, es war meine Idee«, sagte sie ruhig.
Winald lachte
nur und winkte ab. »Du wirst verstehen, dass du nach alldem nicht mehr hier im Haus
bleiben kannst. Stattdessen haben deine Schwester und ich beschlossen, dass du in
ein Kloster gehen wirst. Wir glauben, das ist ein guter Ort, an dem du lernen wirst,
was wichtig im Leben ist. An einen anständigen Mann kann ich dich nach alldem, was
du getan hast, nicht mehr vermitteln, und einen Tunichtgut will ich dir nicht antun.
Immerhin reicht die Mitgift nun für eines der angesehenen Häuser.«
»In ein
Kloster?«, wiederholte Jolanthe, und ihr dämmerte, dass ihr Vater das, was er sagte,
genauso meinte.
»Ich habe
dir zumindest soweit verziehen, und es scheint sich ja alles dem Guten zuzuwenden.«
Er wird
seine Ansichten nie ändern, ging ihr durch den Kopf. »Ihr könnt nicht anders, nicht
wahr?«, fragte sie. »Ihr habt es nie gewagt, Risiken einzugehen, und deshalb beneidet
Ihr mich um meinen Mut. Ihr lehnt mich ab, weil ich damit erfolgreicher bin als
Ihr.«
Sie wartete
nicht auf Antwort, sondern ließ ihn einfach stehen. Was hatte sie an diesem Ort
noch verloren? Sie beschloss, dieses Gefühl des Triumphes von oben auf dem Münsterturm
zu feiern, welcher Ort wäre passender? Ich kann fliegen, wohin ich will, so wie
die Vögel, dachte sie und wischte mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen.
Das Papier mit der Nachricht enthielt
auch auf der Rückseite keine näheren Informationen. Pascal blickte ratlos darauf.
Vorhin als der Bote an seiner Tür geklopft hatte, dachte er, Jolanthe wollte ihm
etwas mitteilen. Stattdessen hatte ihm Winald geschrieben. Er wolle ihn sehen und
Pascal habe sich umgehend einzufinden, sonst nichts. Wie eh und je, dachte Pascal.
Er glaubt, dass er jeden herumkommandieren kann.
Schon wollte
er das Schreiben ignorieren und sich wieder seinen Grübeleien bezüglich Jolanthe
hinwenden, da kam ihm ein Gedanke. War nicht Winald der Kern allen Übels? Hatte
bei ihm nicht die ganze Misere begonnen? Und nun war er an einem Punkt angelangt,
an dem er nicht weiterwusste.
»Kann ich
dir trauen?«, hatte Jolanthe ihn gefragt. Nein wäre die richtige Antwort gewesen,
die Wahrheit, das, was er sich nicht eingestehen wollte. Er hatte sie angelogen,
sie über die wahren Beweggründe im Dunkel gelassen. Er hatte ihren Vater aus Rache
zugrunde richten wollen und sie dafür benutzt – das war die Wahrheit. Und er konnte
sie ihr nicht sagen, ohne sie endgültig zu verlieren.
Es half
nur Ehrlichkeit weiter, und die führte zwangsläufig zu Winald Kun. Deshalb würde
er dessen Aufforderung nachkommen. Allerdings zu einer Zeit, die er selbst festlegte.
Der Alte sollte nicht glauben, er könne mit ihm umspringen wie mit Cornelius oder
Vico.
So
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