Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hast«, sagte Pascal. »Du hast mich auch zu dem gemacht,
was ich heute bin. Ich wollte es allen zeigen. Das habe ich geschafft. Du hast bewirkt,
dass ich von einem naiven zu einem geschäftstüchtigen Kaufmann wurde, der sich die
Partner zweimal anschaut, ehe er ihnen vertraut.«
»Dann war
ich ja zumindest einem zunutze und habe wenigsten einen jungen Menschen zu einem
selbständigen Menschen gemacht«, antwortete Winald, legte den Kopf in den Nacken
und atmete tief durch, so als glaube er selbst nicht an seine Worte.
»Unterschätze
deine Töchter nicht.« Pascal machte eine kurze Pause. »Lass uns zum Geschäftlichen
kommen. Wie lange, glaubst du, braucht der Weber für die Barchentherstellung? Hast
du bereits Käufer für die fertige Ware?«
Winald seufzte.
»Ich glaube, ich werde alt und sentimental. Nun gut«, er klopfte auf den Tisch,
»auf zum Geschäftlichen.«
Kapitel 37
Nach dem Gespräch mit dem Vater
am vorigen Tag hatte Jolanthe Ulm umgehend verlassen. Am Morgen danach hatte sie
versucht, sich mit den üblichen Tätigkeiten zu beschäftigen, aber das Gefühl, etwas
zu verpassen, der Drang, in der Stadt sein zu müssen, hatte überhandgenommen. Also
hatte sie Martha Bescheid gegeben und sich wieder auf den Weg gemacht.
Nun lief
sie an der Donau entlang, beobachtete die Lastkähne, die von Pferden am Ufer gegen
die Strömung gezogen wurden. Das »Hooooohooo!« der Treiber klang ihr in den Ohren,
begleitet vom Stampfen und Schnauben der Tiere. Jolanthe beobachtete einen Ast,
der sich im trübe dahinfließenden Wasser drehte und weitertrieb. Sie setzte sich
an die Uferböschung und starrte ihm nach, wie er immer wieder durch ein Wellental
aus ihrem Blickfeld verschwand, um kurz darauf erneut aufzutauchen.
Was tat
sie hier? Sie folgte einem Gefühl, das sich – kaum in Ulm angekommen – als Einbildung
herausstellen konnte.
Mit einer
Mischung aus Ratlosigkeit und Unrast durchquerte sie das Stadttor und ließ sich
von der Menge in Richtung Marktplatz treiben. Die Verkäufer an den Ständen riefen
ihre Ware aus. Jolanthe nickte dem Gewürzhändler zu, der sie wiederzuerkennen schien.
Er winkte sie zu sich, doch sie bog ab und verschwand aus seinem Blickfeld. Sie
hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten, weder über Belangloses noch über
den Handel mit Pfeffer und Zimt.
Am Pranger
hatten sie einen Jüngling festgebunden, der von Kindern bespuckt und mit Dreck beworfen
wurde. Das Hemd hing in Fetzen an seinem Oberkörper, die Augen hatte er geschlossen,
so als wollte er sich ausschließen vom Treiben um ihn. Es hatte sich eine kleine
Gruppe Menschen gebildet, die nun auf ihn zukam und ihn umringte. Jolanthe konnte
nicht ausmachen, ob sie ihm freundlich oder feindlich gesonnen waren.
Über all
dem Treiben erhob sich das Münster in seiner ganzen Erhabenheit. Jolanthe blieb
eine Weile stehen, um es zu betrachten. Dann lief sie weiter und landete unvermittelt
vor Vicos Laden. Sie betrat ihn und traf auf ihre Schwester. Sieglinde hatte gerade
ein Stück Seide auf einem Tisch ausgebreitet und unterhielt sich mit einer Frau.
Jolanthe beschloss abzuwarten und sah sich um, während sie unauffällig dem Gespräch
lauschte.
»Mein Gatte
hat diesen Stoff von weit her kommen lassen. Es ist der beste, den Ihr in Ulm erwerben
könnt«, sagte Sieglinde.
»Das behaupten
sie alle, glaubt es mir«, antwortete die Kundin. »Allerdings habt Ihr recht, diese
Seide fühlt sich feiner an als die, die ich bislang kannte.«
Sieglinde
ging in den hinteren Ladenteil und holte noch weitere Seide in anderen Farben. Schließlich
entschied sich die Kundin, ließ sich den Stoff abmessen, zahlte und verließ das
Geschäft.
»Du verkaufst
die Waren deines Mannes?« Jolanthe konnte und wollte ihr Erstaunen nicht verbergen.
»Ja.« Mehr
sagte Sieglinde nicht.
Ihr Bauch
schien sich bereits ein klein wenig zu wölben, und Jolanthe verspürte das Bedürfnis,
ihn zu berühren. Mein kleiner Neffe, dachte sie und gleich drauf, warum wohl alle
so sicher waren, dass es ein Junge würde. Ihr wäre eine Nichte lieber gewesen.
»Dir geht
es gut?« Jolanthe deutete auf den Bauch der Schwester. Die nickte, und wieder breitete
sich Schweigen zwischen ihnen aus, das Sieglinde überspielte, indem sie die Stoffe
zusammenlegte.
»Vater hat
bereits einen Käufer für den Barchent.«
»Umso mehr
wundert mich dein Einsatz hier.«
»Ich habe
Verantwortung.« Sieglinde strich sich über den Bauch. Es schien keine unbewusste
Geste zu sein.
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