Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
schlenderte
er durch die Stadt mit dem Gefühl, Abschied zu nehmen von allem, was ihm vertraut
geworden war in letzter Zeit. Er ging zum Tuchkaufhaus, traf dort auf Mathies, der
bereits von der nahen Abreise wusste. Sie würden weiter zusammenarbeiten, das hatten
sie vereinbart. Vielleicht würde sein Vater sich überreden lassen dazu, in Ulm eine
Niederlassung zu gründen mit Mathies als Verantwortlichem. Pascal selbst war sich
nicht sicher, ob er die Stadt je wieder betreten würde. Sie erinnerte ihn zu sehr
an eine Zeit, in der alles möglich schien und er doch alles vergeben hatte. Aus
blinder Wut und Rache. Wie schal das im Nachhinein schmeckte.
Am Fischkasten
blieb er stehen und beobachtete die schlanken Fischkörper und wie sie ihre Bahnen
zogen. Hier hatte Jolanthe gesessen und auf ihn gewartet. Er griff ins Wasser, versuchte,
einen der Fische zu fangen, doch sie entglitten ihm.
Am Münsterplatz
hielt er sich lange auf, blickte immer wieder an der Fassade hoch, versuchte, jeden
einzelnen Wasserspeier zu entdecken.
Als er genug
hatte von alldem, machte er sich auf in Richtung des Kunschen Hauses. Eingelassen
wurde er von einer Magd, und auf die Frage nach dem Hausherrn deutete sie nur die
Treppe hoch. Winald schien auf ihn gewartet zu haben. Trog der Schein oder war sein
Widersacher müde geworden?
»Was wollt
Ihr?«, fragte Pascal und übersah Winalds Geste, mit der er ihn zum Sitzen aufforderte.
»Nun nehmt
diesen Stuhl an«, meinte Winald. »Ich schaue ungern zu meinen Gästen hoch und bin
nicht gut genug zu Fuß, um selbst zu stehen.«
So wenig
ihm Winalds Ton gefiel, so wenig wollte er andererseits mit ihm streiten. Also setzte
Pascal sich und wartete ab.
»Jolanthe
hat mir die von ihr getätigten Geschäfte übertragen. Es sieht so aus, als hätte
ich Schulden bei dir. Ich werde den Verdacht nicht los, dass das genau die Situation
ist, die du haben wolltest.« Winalds Stimme blieb ruhig. »Was sind deine Bedingungen?«
»Immerhin
sind wir wieder bei der vertraulichen Anrede.« War Jolanthe noch ganz bei Sinnen,
warum hatte sie das getan? Sie hätte ein gutes Startkapital erwirtschaften können,
stattdessen überließ sie dem Vater das Geschäft. Und nun hing Pascal wieder an dem
Mann, dem er sein Lebtag nicht mehr trauen wollte. Welches Schicksal hatte sich
da gegen ihn verschworen? Pascal beobachtete sein Gegenüber genau. Er wusste, dass
Winald zu vielem fähig war. Ein zweites Mal würde er ihn nicht hintergehen. »Als
Erinnerung an alte Zeiten?«
»Nimm es,
wie du willst, und beantworte mir die Frage.«
»Ich hatte
nicht vor, dir Geld zu leihen. Gott ist mein Zeuge. Du hast mich einmal im Stich
gelassen, dieser Gefahr setze ich mich nicht freiwillig ein zweites Mal aus.«
»Du verdrehst
die Fakten. Dein Versagen damals hätte mich fast mein ganzes Kapital gekostet. Mein
Rückzieher war notwendig.« Winald lehnte sich mit dem Oberkörper vor, wie um seine
Worte damit zu unterstreichen.
»Das wird
nicht wahrer dadurch, dass du es immer wiederholst.«
»Wie ich
sehe, bist du aus dem Ganzen herausgekommen. Reist in der Welt herum, hast Zeit,
in Ulm einem alten Feind zuzusetzen. Glaube mir, ich bin nicht so dumm, nicht zu
merken, dass du meinen Ruin willst.«
»Den hast
du selbst zu verantworten. Ich sagte dir damals schon, setz auf Neues, wirtschafte
mit geliehenem Geld, wenn du eine Zukunft haben willst.«
»Und du
hast deine Rachepläne eine so lange Zeit gewärmt, um mir das zu beweisen?«
Es hatte
keinen Sinn, mit ihm zu streiten. Pascal erinnerte sich an endlose Dispute, an deren
Ende Winald bei seiner Ausgangsmeinung blieb, ganz gleich wie gut die anderen Argumente
waren.
Er blickte
aus dem Fenster, spürte, wie Winald ihn beobachtete. Schließlich sah er ihn wieder
an, begegnete seinem Blick und sagte: »Du bist ein verdammter Sturkopf, Winald Kun.
Das ist etwas, was du an deine Tochter Jolanthe weitergegeben hast. Ihr beide seid
euch in vielem sehr ähnlich.«
Winald schwieg
und blickte auf die Tischplatte.
»Du hast
mich damals im Stich gelassen und mich in Schwierigkeiten gebracht«, fuhr Pascal
fort. »Ich habe das Geschäft meine Vaters übernommen und meine Schulden zurückzahlen
können. Ja, ich gebe zu, ich wollte mich für das Unrecht, das du mir angetan hast,
rächen. Aber glaube mir, an deiner jetzigen Situation habe ich weniger Anteil, als
du ahnst.«
Winald strich
sich über die Lippen und antwortete immer noch nicht.
»So schlimm
es war, was du mir angetan
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