Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Der Baumstamm verdeckte große Teile davon, doch
unten sah sie zwei nackte Füße, deren Zehen im Wasser baumelten und durch die Bewegung
die Oberfläche in Unruhe brachten.
Sie umrundete
den Stamm und rutschte auf den Ast.
»Ich dachte
schon, du kommst nicht mehr«, begrüßte Pascal sie.
»Eine kurze
Nachricht wäre von Vorteil gewesen«, antwortete Jolanthe und rückte so dicht an
ihn, dass sie seine Nähe spüren konnte. Um nicht schweigen zu müssen, sprach sie
das Erste an, was ihr in den Sinn kam. »Ich habe mit Sieglinde gesprochen.«
»Das wird
sehr geholfen haben.«
»Nicht wirklich«,
sie musste lachen. »Ich lebe von jetzt ab bei Martha.«
»Kein Festhalten
mehr an Vaters Kontor? Kein unbedingter Rettungsversuch mehr, wo er doch so verblendet
ist?«
Sein Spott
tat weh, vermutlich weil er recht damit hatte. Sie antwortete nicht, und schließlich
entschuldigte er sich.
»Letztlich
sollte ausgerechnet ich nicht über andere urteilen. Darf ich dir was erzählen?«
Von ihr
aus konnte er erzählen, bis die Nacht kam und bis zum Tag und bis in alle Ewigkeit
hinein. Sie wollte hier nicht weggehen. Vielleicht auch, weil sie nicht wusste wohin.
»Nur zu.«
»Ich traf
Winald Kun vor etlichen Jahren in Paris. Er und mein Vater hatten Geschäfte miteinander,
und so dachte ich, man könne ihm trauen. Es war die Zeit, wo ich gerade von meiner
Ausbildung aus Venedig zurückkam und all das dort Erlernte austesten wollte. So
geriet ich an ein Geschäft, das mir lukrativ erschien. Doch um es wirklich richtig
groß zu machen, brauchte ich einen Partner. Winald ließ sich überzeugen, sagte mir
Gelder zu. Ich meinerseits machte Schulden. In der Nacht, nachdem ich die Ware erworben
hatte, ließ Winald mich durch einen Boten wissen, er habe es sich anders überlegt
und sei zudem längst auf der Rückreise.«
Pascal machte
eine Pause, und Jolanthe spürte, wie er sie von der Seite ansah. Sie erwiderte seinen
Blick nicht, starrte nur weiter auf die Spiegelungen der Wasseroberfläche und wartete
ab, dass er fortfuhr.
»Ich hatte
einen Wechsel, den ich mit seinem Geld begleichen wollte. Das ging nun nicht mehr.
Die Ware aber ließ sich nicht so schnell verkaufen. Um es kurz zu machen, ich blieb
auf Schulden sitzen, die ich im Kontor meines Vaters mühsam abarbeiten musste. Heute
kann ich nur den Kopf über mich schütteln, damals aber war ich zu leichtgläubig
in manchen Dingen.«
»Und dann?«
»Es ergab
sich diese Reise nach Ulm. Ich hatte noch eine Rechnung offen. Es war wie ein Spiel,
weißt du. Was kann ich erreichen, wenn ich dieses oder jenes ausprobiere.«
»Deshalb
hast du dich an mich herangemacht. Du wolltest über mich Einfluss auf Vaters Geschäfte
erlangen.«
»Ich habe
dich sehr bald schätzen gelernt. Du hast den Laden am Laufen gehalten, auch wenn
dir das nicht klar war.«
»Mein Vater
ist nicht ruiniert.« Und letztlich war das sogar Pascals Verdienst, denn er hatte
ihr geholfen.
»Ich weiß.«
Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. »Und das ist gut so.«
Seine Wärme
fühlte sich richtig an. Wie ein Zuhause, in dem man willkommen ist, so wie man ist.
Jolanthe blickte in die trübe dahinfließenden Wassermassen der Donau. »Wir könnten
uns ein Floß bauen und uns einfach treiben lassen«, meinte sie unvermittelt. »Wohin
kämen wir dann?«
»Ins Schwarze
Meer«, antwortete Pascal.
»Merkwürdiger
Name, warum heißt das so? Ist es schön dort?«
»Vielleicht.
Warum es so heißt? Keine Ahnung.«
»Einfach
dahin treiben.« Jolanthe machte mit der Hand eine Wellenbewegung. »So, siehst du.«
Pascal hielt
sie fest, seine Finger verschränkten sich mit ihren. »Paris ist auch sehr schön.«
»Ach ja?
Was gibt’s da so zu riechen, zu sehen, zu schmecken, zu erleben?«
»Ein Fluss,
der quer durch die Stadt fließt und Seine heißt. Eine Kathedrale, die dem Ulmer
Münster in nichts nachsteht. Wir haben Weine aus Burgund, die dich zum Träumen bringen,
einen wichtigen Handelshafen und noch vieles mehr. Paris ist eine reiche Stadt,
eine Handelsmetropole, in der einiges möglich ist.«
»Nicht schlecht.«
Jolanthe machte sich los und ließ ihre Finger auf Pascals Arm entlangwandern. In
seinem Nacken hielt sie inne, zog sich zu ihm heran und näherte sich mit den Lippen
seiner Wange. »Wer weiß, vielleicht schau ich mir das demnächst sogar mal an. Habe
ja noch ein paar Münzen, um in ein neues Geschäft zu investieren, und Paris kann
sicher Gewürze
Weitere Kostenlose Bücher