Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Martha besaß zwei Pferde und
einen Maulesel, den sie selbst bevorzugt ritt, vermutlich weil er nicht so groß
war und sie es meist nicht eilig hatte. Nun trat sie zu einem Braunen und klopfte
ihm auf den Hals. Das Tier schnaubte, kräuselte die Lippen und suchte in ihrer Rocktasche
nach Leckereien.
»Meine Jungs
sind alle nicht mehr ganz jung, aber dieser wird dich sicher tragen.«
Als Jolanthe
in die Kammer gehen wollte, die sich dem Stall anschloss, hielt Martha sie zurück.
»Keinen Sattel. Du wirst heute ohne reiten, das ist eine gute Übung.«
»Meinst
du, da bleibe ich oben? Es ist lange her, dass ich auf einem Pferd saß«, fragte
sie etwas besorgt.
Martha antwortete
nur: »Das verlernt man nicht.«
Von wegen!
Bis sie auf dem Pferderücken anlangte, das dauerte und benötigte Marthas ganze Kraft
zum Schieben. Sie setzte sich im Männersitz auf das Tier, weil es sicherer war,
als beide Beine auf einer Seite zu behalten, das hatte Martha ihr von Beginn an
erklärt. Sie hielt nichts von dem einseitigen Sitz, den man den Frauen oft aus Schicklichkeit
aufzwang und mit dem sie kaum Schenkeldruck auf das Tier ausüben konnten, somit
auch weniger Gewalt darüber hatten.
Jolanthes
Röcke bauschten sich in einem Stoffballen vor ihr, und das war ungewohnt, denn als
Mädchen hatte sie Martha in alten Beinlingen von Ludwig reiten lassen. Sie griff
nach dem Zügel und schmiegte die Schenkel an den Bauch des Pferdes. Martha schien
nichts von ihrer Unsicherheit mitzubekommen, denn sie fragte unvermittelt: »Wenn
du nach Augsburg gehst, um dort zu lernen, wie man Geschäfte macht, von welchem
Geld willst du was kaufen. Gibt er es dir?«
Jolanthe
starrte die Freundin an und wollte erwidern, dass sie gerade andere Probleme habe,
nämlich das Gleichgewicht auf dem Gaul zu halten, der nun von Martha geführt eine
Runde über den Hof trottete. Aber sie dachte an ihre unpassende Reaktion von vorhin
und hielt sich zurück.
»Ich hatte
ein paar Münzen zurückgelegt, aber das reicht nicht. Ich werde ein Schmuckstück
verkaufen.«
Martha antwortete
nicht. Stattdessen ließ sie das Pferd los und gab ihm einen Klaps auf die Kuppe,
sodass es antrabte. Jolanthe verkrampfte und brauchte etliche Runden, um sich wieder
sicher zu fühlen, doch dann lief es halbwegs, auch wenn sie keine Ahnung hatte,
wie sie bis nach Augsburg kommen sollte. Zum Glück war Marthas Pferd gutmütig. Morgen
würde sie einen Sattel benutzen.
»Es scheint
mir, als bliebest du oben, gut«, erlöste sie Martha endlich. »Ich unterstütze dein
Bestreben mit dem eigenständigen Handel, und vielleicht hast du recht und ich bin
zu misstrauisch«, fügte sie an. »Aber lass mich den Kerl morgen begutachten und
hör dir danach an, was ich zu sagen habe. Versuche nicht immer als Einzelkämpfer
durch dein Leben zu gehen, du hast Freunde, die dir gern helfen. Einverstanden?«
Jolanthe
nickte. Zu mehr war sie nicht fähig, weil ihr plötzlich die Tränen in die Augen
stiegen.
»Zur Not
komme ich eben mit. Muss eh mal wieder raus aus der Hütte hier.«
Kapitel 16
Sieglinde hielt das zappelnde
Huhn, das ihr die Nachbarin verkauft hatte, unter dem Arm geklemmt und hastete auf
den Hof. Dort hatte sie alles für die Schlachtung vorbereitet. Ein Schemel stand
neben dem Klotz, auf dem sie sonst Brennholz zerkleinerten.
»Katrein!«,
rief sie und nochmal: »Katrein, wo steckst du!«
Die Magd
lief aus der Hintertür und auf sie zu. Noch bevor sie eine Entschuldigung wegen
der Verzögerung stottern konnte, bedeutete Sieglinde ihr, sich auf den Schemel zu
setzen und das Tier zwischen den Beinen festzuklemmen, um es zu halten. In der einen
Hand die Axt, die sie bereitgelegt hatte, griff sie mit der anderen den Kopf, fixierte
das Tier so, damit sie den Hals gut erreichen konnte, und hielt inne. Sie spürte
die Kraft des Huhns, das sich mit aller Macht wehrte. Einen kurzen Augenblick genoss
Sieglinde ihre Macht über Leben und Tod. Dann ließ sie das Beil niedersausen und
fing das Blut in einer Schale auf. Schließlich gab sie Katrein Anweisung, das Huhn
zu rupfen und auszunehmen. Sie selbst wusch sich an einem großen Kübel und drehte
dem Geschehen auf dem Hof den Rücken zu.
Im Haus
nahm sie sich die blutige Schürze ab und tat sie zur Wäsche, die gekocht werden
musste. Der Korb hatte sich bereits gut mit Kleidungsstücken gefüllt, die zu stark
verschmutzt waren, um sie im Fluss zu waschen. Sie würden bald einen Kochtag einlegen
müssen. Sieglinde seufzte.
Von
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