Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zustoßen zu lassen. Ich habe die Verantwortung für dich, und nicht
nur Martha wird mich steinigen, wenn ich dich nicht heil zurückbringe, Jolanthe
Kun.« Damit drehte er sich um und verschwand zwischen den Menschen, die sich um
die Marktstände drängten.
Jolanthe
blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann lockerte sie ihre Haltung und schaute
sich um. Größer schien ihr hier alles zu sein, weitläufiger als in Ulm. Doch sie
konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass Augsburg tatsächlich größer war, oder
daran, dass ihr alles so fremd vorkam. Obwohl es das auch nicht wirklich traf. Wenn
sie über den Markt blickte, die Rufe der Marktfrauen und der Händler im Ohr, das
geschwätzige Innehalten der Leute in Grüppchen, um Neuigkeiten auszutauschen, dann
hatte sie das Gefühl, gleich einem Bekannten über den Weg zu laufen. Wenn sie aber
hoch sah auf die angrenzenden Häuser, die prachtvollen Bauten mit den Giebeln und
Erkern, den bunt verglasten Fenstern und den steinernen Verzierungen darunter, dann
fühlte sie sich fremd. Es war aufregend, keine Frage.
»Perlachplatz«,
sagte sie vor sich hin. Das konnte sie sich leicht merken. Sie straffte ihre Schultern,
legte ein Lächeln auf die Lippen und sagte sich, dass diese Stadt auch nicht anders
war als ihre Heimat und die Leute sicher hier ebenso freundlich wie dort, und schritt
zu einer Gruppe Frauen, die in ihrem Habitus leicht als Nonnen auszumachen waren.
Hier kam sie allerdings nicht weit mit ihren Erkundigungen, doch es dauerte nicht
lang, da hatte ihr eine Magd den Weg zu einem Goldschmied erklärt, der gewiss Augsburgs
bester war, wie sie beteuerte. Vermutlich ein Verwandter oder Bekannter von ihr,
doch das störte Jolanthe nicht.
Auf ihrem
Weg prägte sie sich besondere Gebäude ein, versuchte jeden Richtungswechsel zu behalten
und dankte Gott, dass der Handwerker sich nicht weit ihres Ausgangspunktes in einer
kleinen Werkstatt niedergelassen hatte. Er saß an seiner Werkbank und sah hoch,
als sie den Laden betrat. Eine Talglampe brannte, obwohl es helllichter Tag war.
Jolanthe sah filigrane Werkzeuge, Hämmerchen, kleine Zangen auf dem Tisch verstreut.
Dazwischen Goldplättchen und eine kleine Schale mit funkelnden Edelsteinen. Im Hintergrund
reihten sich Trinkgefäße aus Silber auf einem Regal. Vermutlich bestellte Ware,
bereit zum Abholen.
»Seid gegrüßt«,
sagte sie munterer, als ihr zumute war. Um nicht in ihrem Entschluss zu wanken,
nestelte sie rasch an ihrer Börse und zog einen Armreif heraus. Sie hatte nicht
viel von ihrer Mutter behalten. Neben den wenigen Bildern im Kopf zwei, drei Schmuckstücke
und etwas Kleidung. Es tat weh, von dem Wenigen etwas herzugeben.
»Guter Mann,
was zahlt Ihr mir für dieses wertvolle Stück. Ich bin seiner überdrüssig, müsst
Ihr wissen«, sagte sie fester, als sie sich fühlte.
»Ihr wollt
dafür ein neues Schmuckstück erwerben? Ich hätte gerade eine wundervolle Kette,
die ich Euch überlassen könnte.«
Der Goldschmied
erhob sich und kam hinter dem Tisch hervor. Von der Statur her ohnehin nicht besonders
groß, hielt er sich leicht nach vorn gebeugt, sodass sie das Gefühl bekam, er schaue
von unten zu ihr hoch. Sein linkes Auge wurde halb verdeckt vom Augenlid. Dafür
blickte das rechte umso wacher. Jolanthe beschloss, zum Schein zunächst auf sein
Angebot einzugehen und ließ sich die Kette zeigen. Zwei Gliederstränge wanden sich
umeinander und mündeten in einer Fassung, in der ein winziger roter Stein funkelte.
Jolanthe strich mit dem Finger darüber und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen,
wie beeindruckt sie war.
»Ihr würdet
diesen Armreif dafür eintauschen?« Sie konnte es sich nicht vorstellen, zu plump
wirkte ihr Schmuckstück gegen die filigrane Kette, die er ihr anbot.
»Sagen wir,
fast.« Er ging zum Eingangsbereich und drehte den Reif im einfallenden Tageslicht.
Steile Falten bildeten sich auf seiner Stirn, so als müsse er sich konzentrieren.
Jolanthe spürte den Drang, ihm das Erbstück ihrer Mutter aus den Fingern zu nehmen,
sich zu entschuldigen, es sei ein Irrtum gewesen, sie wolle gar nicht verkaufen.
»Mir gefällt Eure Kette. Ich werde sie im Auge behalten. Wie viele Münzen gebt Ihr
mir für den Armreif?«
Er nannte
eine Summe, mit der sie zufrieden sein konnte. Es überstieg ihre Kräfte, ihn noch
höher zu handeln, sie wollte es hinter sich bringen. Als sie wieder draußen auf
der Straße stand, blinzelte sie die Tränen weg und versuchte, die Sache von
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