Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Vorwurf
zu überhören. Es brachte nichts, mit ihm darüber zu debattieren, welche Auseinandersetzungen
zwischen ihr und ihrer Schwester notwendig waren und welche vielleicht nicht. Sie
hatte ihn Wichtigeres zu fragen.
»Ich bin
seit meiner Kindheit regelmäßig zu Martha gegangen, Ihr könnt mir das nicht versagen.
Sie ist wie eine Mutter zu mir«, fügte sie hintenan, um ihr Argument zu verstärken.
»Das ist
es ja. Deine Schwester und ich, wir führen einen Gutteil deiner mangelnden Erziehung
darauf zurück. Ich hätte dem eher Einhalt gebieten sollen. Aber auch ich habe deine
Mutter vermisst.«
Natürlich
hatte er das. Warum sonst hatte er sich nie ein neues Eheweib gesucht? Jolanthe
hatte dies vor einiger Zeit erkannt.
»Ihr wisst
von den neuen Fenstern?«
»Sind sie
bereits angebracht? Ich hatte noch keine Gelegenheit, es mir anzuschauen. Die Treppe
ist immer noch sehr mühselig für mich.«
Wie schön,
er lässt sich ablenken, dachte Jolanthe und fuhr fort: »Vater, ein solcher Luxus
ist für uns doch unbezahlbar.«
»Es kostet
nicht so viel heutzutage.«
Das waren
Vicos Worte. »Wie könnt Ihr das zulassen? Sieglinde trägt ein neues Kleid. Meines
Wissens hatte sie sich erst zur Hochzeit eine neue Garderobe schneidern lassen.«
»Sie ist
eine hübsche junge Frau und will ihrem Mann Ehre machen. Du solltest dir auch mal
wieder etwas Nettes kaufen.«
»Es wäre
billiger, wenn sie die Kleider nicht extra vom Schneider anpassen ließe.«
»Was besorgt
dich. Tochter? Wir haben genug Geld. Immerhin hat Vico seinen Einsatz mitgebracht.
Er kann mit seinen Gulden tun, was ihm beliebt.«
Und wenn
es Winalds eigenes Geld gewesen wäre, dann hätte er strenger darüber gewacht? Jolanthe
glaubte nicht daran, dass Vicos Schatulle derart reich bestückt war.
»Nachdem
sein Vater sich reichlich bedient hatte. Wie viel kann da noch übrig sein? Er ist
ein lausiger Kaufmann, Vater, habt Ihr das immer noch nicht bemerkt?«
Winald winkte
ab. »Er wird sich machen, es ist eine Frage der Zeit.«
Wo war sein
Kampfgeist geblieben, wo sein Widerspruch und wo seine Stärke? Jolanthe kannte ihren
Vater nur als Fels in der Brandung, ein sturer Bock fürwahr doch auch einer, der
Halt bot und Sicherheit. Es tat ihr weh, ihn so lustlos zu sehen.
»Habt Ihr
in den letzten Tagen die Kontorbücher geprüft?«
»Das ist
deine Aufgabe, die ich dir anvertraut habe in der Annahme, dass du sie nicht tagelang
vernachlässigst.«
Verdammt,
dachte Jolanthe und biss sich auf die Unterlippe. Nun sind wir wieder am Ausgangspunkt
angelangt. Laut sagte sie: »Martha brauchte meine Hilfe. Ich konnte sie ihr nicht
ausschlagen. Ich werde nun gehen und die Bücher prüfen.«
Winald nickte
nur und starrte erneut auf das Gemälde. Vielleicht fühlte er sich wie ein verwundeter
Soldat, verstümmelt und zu nichts mehr nutze, aber gütiger Gott, er lebte, er war
wohlauf, wofür brauchte ein Kaufmann zwei Beine!
»Ihr dürft
Euch nicht so hängen lassen, Vater«, sagte sie, kurz bevor sie aus dem Raum floh.
Sie wollte seine Antwort nicht abwarten, wollte weder Zorn noch Schulterzucken,
sie wollte nur, dass er nachdachte über ihre Worte.
Kapitel 19
Mit Hilfe von Marthas Köchin Liese
und dem Faktotum Ludwig hatten sie sich einen Marktstand gezimmert, der über ihren
Köpfen sowie hinter ihnen durch eine Tuchbahn Schutz bot. Jolanthe würde sich jederzeit
hinter dem Tuch verstecken können, sollte es notwendig werden und jemand an ihren
Stand treten, der sie dort nicht sehen durfte.
Nun zogen
sie und Martha noch vor dem Morgengrauen los mit einem Handkarren, auf dem sie alles
verstaut hatten, was sie für ihren Marktbesuch brauchten. Am Stadttor wurden sie
ohne Umstand eingelassen, nachdem Martha ihre Kräuter vorgezeigt hatte. Die Kästchen
mit Safran und Pfeffer verbarg sie in einer eingenähten Tasche unter ihren Röcken.
»Wir wollen
doch keine unnötige Aufmerksamkeit wecken«, hatte sie beschlossen und überzeugte
Jolanthe, dass sie sicher niemand durchsuchen würde.
»Na, neue
Einnahmequelle aufgetan, Martha?«, witzelte einer der Torwächter.
»Warte,
bis es dir in deinen Gelenken zieht«, antwortete sie. »Dann werde ich dir deinen
Spott unter die Nase reiben statt der guten Ringelblumensalbe auf Beine und Füße.«
Sie winkte neckisch wie ein junges Mädchen und zog mit Jolanthe den Wagen voran.
Jolanthe beobachtete die Freundin von der Seite. Ihre geröteten Wangen und das Lächeln,
das auf ihren Lippen lag, zeugten davon,
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