Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
erkannte sie, dass es sich bei den
Gerätschaften auf dem Wagen um Glasfenster handelte und diese vor ihrem Haus abgeladen
wurden. Vico stand in der offenen Tür und beobachtete die Arbeiten.
»Wir haben
bereits Butzenscheiben an den Kontorfenstern«, sprach sie ihn von hinten an, so
laut, dass er zusammenschrak.
»Aber nicht
in den übrigen Stockwerken.«
»Das kostet
ein Vermögen!« Jolanthe verschränkte die Arme vor der Brust, um Ruhe bemüht.
»Wie war
dein kleiner Ausflug? Geht es dir nun besser?«
»Ich war
nicht krank.«
»Nein, krank
ist hier jemand anderes«, sein süffisantes Lächeln kam von oben herab. Jolanthe
biss einmal kräftig die Zähne zusammen, bevor sie weitersprach.
»Wie geht
es Vater?«
»Es würde
ihm besser gehen, wenn seine jüngere Tochter sich nicht immer vor den Aufgaben drücken
würde, die für sie gedacht sind.« Sieglinde schob sich neben ihren Mann und blickte
ebenfalls auf Jolanthe hinunter, weil sie zwei Stufen höher stand. »Schön, dass
du wieder da bist.«
»War das
deine Idee, das mit den Glasfenstern?«
»Wir müssen
mit der Zeit gehen.«
»Man wird
heutzutage nicht mehr ernst genommen, wenn man sich nicht ansehnlich präsentiert«,
sprang Vico ihr bei. »Wir müssen mit den Besten der Ulmer Kaufleute mithalten, sonst
sind wir bald aus dem Geschäft.«
»Draußen
sind wir, wenn ihr das Geld weiter so vergeudet. Von welchen Münzen wollt ihr neue
Ware bezahlen, wenn ihr sie alle für die Verschönerung des Hauses verschwendet?
Werft es ins Feuer, das hat die gleiche Wirkung!«
»Du solltest
dir überlegen, ob du hier die Ratgeberin spielen kannst.« Sieglindes Stimme hatte
sich eine Tonlage nach oben verschoben.
Es hatte
keinen Sinn, die Sache noch weiter zuzuspitzen. Doch Jolanthe konnte sich nicht
bremsen in ihrem Zorn. »Wie habt ihr Vater das abgetrotzt? Niemals würde er freiwillig
solch einer Verschwendung zustimmen.«
»Natürlich
hat er zugestimmt«, antwortete Sieglinde. »Was glaubst du denn, dass wir das heimlich
machen, er eines Morgens in der Küche steht und sich wundert, warum es nicht mehr
zieht?«
Irgendeine
Mauschelei musste es gegeben haben, das sah Jolanthe an Vicos Blick. Nur welche?
»Vielleicht
habt ihr ja behauptet, Vico könne diesen Luxus bezahlen.«
»Es ist
genügend Geld da, nun regt euch nicht auf«, ging Vico dazwischen. »So teuer ist
das Glas heute nicht mehr, und wie soll ich meiner Frau eine solch sinnvolle Sache
ausreden, wenn sie doch recht hat mit allem? Nun lasst mich die Männer hier beaufsichtigen,
damit wir am Ende alle Freude am Ergebnis haben.«
Jolanthe
wandte sich ab, schob sich an ihrer Schwester vorbei und polterte die Treppen hoch.
Irgendwann wird sich das alles rächen, glaubt mir, dachte sie voller Zorn und brachte
es nicht fertig, ihrem Vater Guten Tag zu sagen. Sie hörte ihn in der Stube mit
jemandem sprechen und nahm es als Ausrede, ihn nicht stören zu wollen. Sie musste
sich erst beruhigen, bevor sie ihm unter die Augen trat.
Es dauerte nicht lange, bis Jolanthe
sich wieder auf den Weg machte. Sie wusste, sie durfte dem gemeinsamen Essen am
Mittag nicht fernbleiben. Mit dem Vater aber musste sie unbedingt vorher reden.
Sie traf
ihn in der Stube an, wo er auf seinem Lehnstuhl saß, ein paar Papiere in den Händen,
und auf ein Gemälde starrte, das ein düsteres Schlachtgetümmel zeigte. Es fühlte
sich ungewöhnlich an, den Vater endlich einmal allein sprechen zu können, nach all
den Tagen zuvor, bei denen Sieglinde ihn nie aus den Augen gelassen hatte, sobald
sich Jolanthe in der Nähe aufhielt. Das ließ sich nun, wo er wieder gesund war,
nicht mehr aufrechterhalten.
»Vater?«
Sie musste ihn zweimal ansprechen, ehe er reagierte, so sehr hielten ihn seine Gedanken
gefangen. »Ich bin zurück. Seid Ihr wohlauf? Hat der Medikus noch einmal nach Euch
gesehen?«
»Ja, ja«,
er bedeutete ihr, sich zu setzen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du dich
entfernst? Ich möchte nicht, dass du dich ohne meine Erlaubnis aus dem Haus schleichst.«
Diesen Vorwurf
hatte sie erwartet. »Ich hatte eine Auseinandersetzung mit Sieglinde. Sie wusste
Bescheid.«
»Unabhängig
davon, dass ich keinen Streit zwischen euch beiden haben will. Es gibt nichts, worüber
ihr unterschiedlicher Meinung sein müsstet, merke dir das. Was hattest du bei dem
Kräuterweib verloren? Lässt du dich immer noch von ihr beeinflussen?« Seine Stimme
klang weniger verärgert als müde und resigniert. Jolanthe beschloss, seinen
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