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Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Rosemann
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habe sie
eine Ahnung. Sie blickte nach oben.
    »Vorsicht!«,
kam ein Ruf von hinten. Jolanthe folgte der Blickrichtung der Freundin. Wie erstarrt
stand sie da, während ein Felsbrocken den Hang hinunter fiel, hier und da aufschlug,
die Richtung änderte und weiterhüpfte wie ein übermütiges Kind.
    »Nicht!«
Jolanthe gellte ihr eigener Schrei in den Ohren. Ihr Pferd riss sich erschrocken
los, die Zügel hinterließen eine brennende Spur auf ihrer Handfläche. Sie stürzte
nach vorn und bekam Martha an der Schulter zu fassen, wollte sie nach hinten ziehen,
sie aufrütteln, sie dazu bringen, sich zu bewegen. Doch es war zu spät. Mit einem
dumpfen Knall schlug der Stein auf den letzten Felsen auf, bevor er erneut hochsprang
und auf sie zu wirbelte. Martha drehte sich, stieß Jolanthe zu Boden, sie spürte,
wie sie den Halt verlor und aufschlug. Dann wurde es schwarz um sie herum.
    Als sie
wieder erwachte, hielt ihr jemand ein feuchtes Tuch an die Stirn. Es brannte an
der Stelle, ihr Kopf schmerzte höllisch.
    »Was ist
geschehen?«, brachte sie hervor, obwohl ihr Mund wie ausgetrocknet war.
    »Du bist
mit dem Kopf auf einen Stein gefallen«, antwortete Pascal. Sie sah sein besorgtes
Gesicht und versuchte zu lächeln. Das Wort Stein brachte die Erinnerung.
    »Martha!«
Jolanthe versuchte sich aufzusetzen, doch Pascal hielt sie zurück.
    »Bleib liegen!
Du musst erst richtig zu dir kommen.«
    »Was ist
mit Martha?«, flüsterte Jolanthe und kämpfte gegen den Schwindel an, der die unbedachte
Bewegung verursacht hatte.
    »Sie lebt.«
    Das war
eine beängstigende Antwort. Lieber hätte sie gehört: »Es geht ihr gut.« oder »Es
ist ihr nichts geschehen.« Erneut versuchte Jolanthe sich loszumachen, vergeblich.
Ihr wurde übel. Jolanthe traten Tränen in die Augen, sie hielt sich an Pascals Arm
fest und hörte seine ruhige Stimme.
    »Es wird
alles gut. Wir bringen euch in Sicherheit. Das Hospiz ist nicht weit. Dort könnt
ihr ausruhen.«
    Es wird
alles gut, dachte sie, als sie die Augen schloss und in einen Dämmerzustand hinüberglitt.
Alles gut.
     
    Sieglinde spürte das Holz der Kirchenbank,
auf der sie kniete, schmerzhaft an den Unterschenkeln. Sie blieb dennoch in der
Stellung, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet. Stumm bat sie um Beistand für
die Familie, auch für Jolanthe, die bezog sie ausdrücklich mit ein. Schwacher Weihrauchgeruch
vom letzten Gottesdienst lag in der Luft, und die Mauern schienen die Kälte des
Winters gespeichert zu haben, um sie nun nach innen abzugeben. Sieglinde sprach
erneut ein Gebet, bewegte die Lippen dazu, versuchte sich ganz darauf zu konzentrieren.
Als sie das Gefühl hatte, dass es genug war, richtete sie sich auf, setzte sich
auf die Bank und streckte die Beine von sich. Eine Weile saß sie da, bewegte die
Füße, um den Schmerz zu vertreiben. Dann erhob sie sich und trat zu dem kleinen
Tisch mit den Kerzen. Sie nahm eine aus dem Holzkästchen, kramte in ihrer Börse
nach einer Münze und tat sie in den Kasten daneben. Die Kerze entzündete sie an
einer anderen, hielt das Flämmchen hoch auf Augenhöhe und sah hinein.
    »Für dich,
meine Schwester. Ich wünsche dir ein gutes Leben.« Sie betonte das Wort Leben, wie
um sich selbst zu vergewissern, dass Jolanthe nichts zustoßen würde.
    Dann verließ
sie das Münster, nachdem sie sich mit Weihwasser bekreuzigt hatte. Sie hatte Gott
danken wollen dafür, dass er dem Vater die Kraft gegeben hatte, sich von seiner
Krankheit zu erholen. Das Geld war immer noch knapp, aber zumindest hatte Winald
wieder die Geschäfte in die Hand genommen, wohl, weil ihr unvernünftiger Ehemann
immer weniger für das Kontor tat, was ihr missfiel, was sie aber im Moment nicht
ändern konnte. Und noch war der Vater ja da. Winald hatte ihr versprochen, dass
alles so werden würde wie früher. Sie glaubte nicht daran, denn zumindest eines
würde sich nicht mehr ändern: Sie war nun Ehefrau und würde sicher bald Mutter werden.
Zudem gab es etwas anderes, das sie selbst unbedingt ändern wollte, und das betraf
ihre Schwester. Jolanthe hatte lange genug Einfluss im Kontor ausgeübt, diese Zeit
sollte nun ein für alle Mal vorüber sein.
    Sieglinde
trat auf den Münsterhof und schaute sich um. Das geschäftige Treiben auf dem Marktplatz
stand im Gegensatz zu der Stille, die in der Kirche herrschte. Sie wollte zur Ruhe
kommen, nicht wieder sofort hineingerissen werden in den Strudel von Verantwortung,
Ärger und Resignation. Es war an der Zeit, dass

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