Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Mauerwerk darunter, dann die Säulen und Arkaden, mir wird ganz schwindelig, wenn
ich zu lange hinschaue.«
»Das ist
große Baukunst. Hier waren die berühmtesten Architekten am Werk.«
»Wie reich
muss jemand sein, der sich einen solchen Palast errichten kann?«, staunte sie, und
Pascal erklärte erneut, wie der Reichtum nach Venedig kam. Über die Dogen selbst
wusste er kaum etwas und musste das widerwillig zugeben.
Es wurde
Abend, und er gab es auf, darauf zu hoffen, das Jolanthe von allein müde wurde.
Sie schien von einer unerschöpflichen Energiequelle gespeist. Trotz ihrer Proteste,
bugsierte er sie in eine Gondel und gab dem Bootslenker Anweisung, sie zum Haus
der deutschen Kaufleute zu rudern. Ihr Protest war ihm gleich, sollte sie ihn Schwächling
nennen, er wollte nicht mehr. Und morgen war schließlich auch noch ein Tag.
Kapitel 27
Der Hafen. Jolanthe blieb stehen,
bemüht, möglichst viele Eindrücke auf einmal in sich aufzunehmen, so als könne sich
alles im nächsten Moment als Trugbild herausstellen und verschwinden. Doch es war
nicht so. Auch wenn sie die Augen schloss, bis zehn zählte, um sie wieder zu öffnen,
bot sich ihr immer noch dasselbe Bild.
Früh am
Morgen hatte sie sich auf den Weg gemacht. Sie hatte im Innenhof des Fondaco dei
Tedeschi ein paar Kaufleute getroffen und sie gefragt, wie man am besten zum Hafen
kam. Als sie gerade Martha Bescheid geben wollte, wohin sie gehen würde, da stand
die Freundin vor ihr, fertig angezogen und bereit, einen Ausflug in die Stadt zu
machen. Gemeinsam verließen sie das Haus. Martha begleitete sie ein Stück weit,
bevor sie mit einem Winken verschwand, um ihre eigenen Besorgungen zu tätigen. Jolanthe
hatte sich nicht gemerkt, wohin die Freundin gehen wollte und was sie dort tat.
Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und mit der Aussicht, den berühmten
Hafen dieser Handelsmetropole zu sehen. Martha würde vermutlich Orte aufsuchen,
die sie kannte oder Menschen treffen, die sich noch an sie erinnerten. Nein, sie
musste ihr nichts genauer erklären, und eben das nahm Jolanthe sich auch gegenüber
Pascal heraus, obwohl sie wusste, dass er das sicher nicht guthieß. Er hatte sich
in den Kopf gesetzt, auf dieser Reise für sie verantwortlich zu sein. Das hieß für
ihn scheinbar, dass er sie überall hin begleitete, auch wenn er so wenig Laune dazu
hatte wie gestern und die ihre damit ebenfalls verdarb. Das wollte sie nicht. Sie
war zum ersten Mal in Venedig und wollte alles auskosten, was sie sah. Wenn das
gemeinsam mit Pascal nicht möglich war, dann tat sie es eben allein. Zudem musste
sie ihn bei ihren Geschäften nicht dabei haben. Sie brauchte keinen Aufpasser.
Obwohl noch
früh am Morgen, herrschte am Hafen rege Geschäftigkeit. Jolanthe starrte eine ganze
Weile auf die ankernden Schiffe, die ihr riesig vorkamen. Geprägt von den Erzählungen
der anderen hatte sie eine Vorstellung gehabt, wie solche Gefährte aussehen könnten,
mit denen man über das Meer bis nach Ägypten reiste und unversehrt dort ankam. Nun
aber, in Wirklichkeit, sah alles ganz anders aus, größer, gewaltiger.
Auf einigen
Decks herrschte Ruhe. Die Taue schlugen an Masten im Takt der sanften Bewegung,
mit der sich der Schiffsrumpf in den Wellen wiegte. Auf anderen wurden die Planken
geschrubbt, Segel geflickt oder Kisten und Fässer umgeräumt. Seeleute luden Ware
auf kleinere Boote, um sie an Land zu bringen. Dort warteten Maultiere auf die Last,
schlugen geduldig mit dem Schweif und schüttelten die Köpfe, wenn die Fliegen zu
aufdringlich wurden. Zwei Straßenköter balgten sich um ein fauliges Stück Fleisch,
und über allem hing der Schrei der Möwen, die immer wieder ihre Kreise zogen. Ein
Seemann rief einem anderen Befehle zu, der sie mit gekonnter Langsamkeit ausführte,
so als habe er die Ruhe weg. Jolanthe sah einen Kaufmann auf und ab gehen und immer
wieder in die Ferne über das Wasser blicken. Seine Schnabelschuhe wiesen lange Enden
auf, und sein Umhang war pelzbesetzt. Mit jedem Schritt schlug er um seine Beine.
Jolanthe
tauchte in das Treiben der Menschen ein, roch Fisch und brackiges Wasser. Von einem
fliegenden Händler ließ sie sich einen Kanten Brot mit Fleisch geben und lehnte
sich etwas abseits an eine Hauswand, um das Essen hinunterzuschlingen und dabei
das Geschehen am Hafen nicht aus den Augen zu verlieren. Als sie den letzten Bissen
hinuntergeschluckt und die fetttriefenden Finger abgeleckt hatte, war ihr
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