Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Rudern vorwärts bewegten. Ein Stimmengewirr lag in der Luft,
Rufe von Händlern, die auf den Brücken Waren verkauften, das Geschrei von streitenden
Männern und das Gemurmel von unzähligen Unterhaltungen. Aus einem der Häuser drang
der Gesang eines Knaben, begleitet von Flötenspiel. Kein Zweifel, Venedig lebte.
Pascal spürte zum ersten Mal seit ihrer Ankunft Freude darüber, hier zu sein.
»Wo fahren
wir hin?«, fragte Jolanthe.
»Zum Fondaco
dei Tedeschi, der Unterkunft für deutsche Kaufleute. Wir sind in einer bedeutenden
Handelsstadt, die weiß, was sie an den fremden Kaufleuten hat. Deshalb sorgt sie
für angemessene Unterkunft.«
»Unglaublich
ist das alles hier. Ich glaube, ich träume.«
Unter den
Säulenarkaden eines prächtigen Gebäudes legten sie an und wurden willkommen geheißen.
Ihre Mitreisenden wurden ebenfalls untergebracht, Pascal wusste, dass sie sich schnell
aus den Augen verlieren würden. Nur ein Datum war wichtig, nämlich das, welches
sie für die gemeinsame Rückreise festgelegt hatten, ansonsten ging jeder seiner
Wege. Pascal sorgte dafür, dass die Kammer, die von Jolanthe und Martha bezogen
wurde, direkt neben seiner eigenen lag. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er
an diesem Tag das Gebäude nicht mehr verlassen müssen, aber Jolanthe zog es nach
draußen und er wollte sie nicht allein gehen lassen.
»Wie prächtig
das Haus bemalt ist, hast du das gesehen? Und die kleinen Türmchen obenauf. Man
glaubt, man wohne in einem Palast, es ist so riesig wie der gesamte Ulmer Marktplatz
zusammen!«
Sie überquerten
die Rialtobrücke, blieben in der Mitte stehen, um auf den Kanal zu blicken, doch
das Gedränge zwang sie dazu weiterzugehen. Jolanthe hielt an jedem der kleinen Läden
an, bestaunte Speisen, die sie nicht kannte, Glasgefäße, gefertigt in Murano, Schmuck
und Keramik. Pascal wunderte sich über ihre Energie, die Reise schien bereits vergessen.
Sie wollte unbedingt noch einmal mit einem der Boote durch die Kanäle fahren. Pascal
erfüllte ihr den Wunsch, bezahlte den Bootsführer und half ihr in die Gondel. Im
Stehen führte der Mann den Riemen in gleichmäßigen Bewegungen. Jolanthe sah nach
rechts und links und fasste Pascal ein ums andere Mal am Arm, wenn sie etwas Neues
entdeckt hatte. Er mochte ihre Begeisterung. Auch wenn er sich wünschte, sie hätte
sie für den nächsten Tag aufgespart. Was auch immer er über die reichen Familien
Venedigs wusste, über den Fernhandel, der von hier über die Meeresrouten ging und
über Gebäude, die sie besonders prächtig fand, alles musste er ihr erzählen.
Auf der
Piazza San Marco blieb sie ehrfürchtig vor der Basilika stehen. Gekrönt von fünf
Kuppeln strahlte das golden bemalte Gebäude Reichtum und Erhabenheit aus. Die Rundbögen,
unten mit Säulen unterteilt, oben orientalisch spitz zulaufend und mit Mosaiken
geschmückt, luden dazu ein, mit den Blicken zu verweilen. Dennoch schwand Pascals
Eifer mehr und mehr. Er sehnte sich nach einem guten Essen und seinem Lager. Doch
seine Begleiterin blieb unermüdlich.
»Ich möchte
ein Dankesgebet sprechen, dafür, dass wir die Reise gesund überstanden haben.«
Pascal nickte
nur ergeben und folgte ihr. Die reiche Bemalung im Innern, die bunten Mosaike am
Boden, die hohen Kuppeln des Daches, das alles bisher Gesehene in den Schatten stellte,
beeindruckten auch ihn immer wieder. Und doch schob er Jolanthe sanft voran, damit
sie sich nicht in der Betrachtung der Malereien verlor. Sie knieten nieder und sprachen
jeder für sich ein Gebet. Er dankte Gott von ganzem Herzen, dass sie nicht überfallen
worden waren und der Unfall glimpflich vonstatten gegangen war.
Als sie
das Gebäude verließen, wollte Jolanthe zum Hafen.
»Martha
wartet bestimmt«, versuchte er zu bremsen, doch sie antwortete nur, die Freundin
wolle sich ausruhen und habe sie fortgeschickt.
Er zeigte
ihr stattdessen den Palast des Dogen, der lag gleich nebenan und konnte sie eine
Weile ablenken. Sie gingen durch die marmornen Arkaden, die an der Fassade in Richtung
Lagune angebracht waren. Jolanthe berührte den Stein und strich mit den Fingerspitzen
an einer Säule entlang.
»Der Löwe
ist Wahrzeichen Venedigs«, erklärte er die Bildnisse über dem mittleren Fenster
der Fassade, nachdem sie sich ein paar Schritte entfern hatten und das Gebäude im
Ganzen bestaunen konnten. »Die Statue oben ist Justitia«.
»Dieses
rötliche Muster am oberen Teil der Wand und diese sich ständig wiederholenden Kreise
im
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