Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
freiwillig
mit ihm gegangen. Ich hätte sonst geholfen, das ist doch selbstverständlich«, rief
er ihnen hinterher.
Pascal wollte
nichts mehr hören. Er überquerte den Hof. Martha folgte ihm.
»Wohin gehen
wir?«
Er antwortete
nicht, und sie fragte nicht weiter nach. Als er das Warenlager des Hauses betrat
und zügig zu dem Verschlag ging, wo er seine und Jolanthes Ware gelagert hatte,
folgte sie ihm immer noch. Er grüßte den Wachmann.
»Alles in
Ordnung?«
»Ja, Herr.«
Er brauchte
nicht weiter zu fragen, er sah die Kisten mit Jolanthes Gewürzen noch genauso auf
dem Boden stehen, wie sie gestern abgestellt worden waren. Zu Martha gewandt sagte
er:
»Ihre Gewürze
sind noch da. Sie hat sie gestern am Hafen erstanden.«
»Und mir
davon erzählt. Natürlich ist alles noch da, was denkst du denn?«
Pascal wies
die Wache an, niemanden zu den Sachen vorzulassen, ganz gleich welche Erklärungen
er hätte, und ihm umgehend Nachricht zukommen zu lassen, sollte sich etwas Ungewöhnliches
ereignen. Dann machten sie sich auf den Weg zurück zu Marthas Kammer.
»Vielleicht
ist sie doch wieder zurück, lass uns nachsehen.«
Jolanthe
war nicht da.
»Martha,
was ist da geschehen? Sie hat ihr Gepäck hier gelassen, sie hat die Gewürze im Lager
gelassen. Wen hat sie getroffen, und wohin ist sie mit ihm gegangen? Sie kennt doch
niemanden hier.«
»Jolanthe
ist nicht freiwillig mitgegangen. Dafür verwette ich meinen Kopf. Sie hätte uns
benachrichtigt.«
»Und wer
um Himmels Willen sollte sie hier in Venedig entführen?«
Darauf wussten
sie beide keine Antwort.
Kapitel 28
Jolanthe saß auf einem Schemel,
rieb sich die brennenden Augen und starrte auf das einzige Fenster im Raum. Jemand
hatte es mit von innen vernagelten Läden verschlossen. Sie hatte in der Nacht kaum
ein Auge zugetan, war immer wieder eingenickt und benommen hochgeschreckt, um auf
die Geräusche im Haus zu hören. Das Knarren im Gebälk, das Lachen, das von unten
heraufdrang, das Schlurfen, Rumoren und ab und an das lustvolle Stöhnen begleiteten
sie die ganze Nacht. Sie konnte sich denken, in welcher Art von Etablissement sie
gelandet war. Doch warum und wer sie hergebracht hatte, das wusste sie nicht.
Sie wusste
nur, dass sie keine zehn Pferde auf das schimmelige Strohlager bringen würden, das
an der Wand für sie bereitet worden war. Vermutlich beherbergte es noch andere Unaussprechlichkeiten,
nicht nur diese schwarzen Käfer, die ab und an daraus hervorkrochen.
Die Holzdielen
am Boden schienen seit Anbeginn kein einziges Mal gesäubert worden zu sein. Es gab
einen Nachttopf, dessen durchdringender Uringestank das Zimmer füllte. Offenbar
hatte sie sich in der Nacht erleichtert, doch sie konnte sich nicht daran erinnern.
Ein Eimer stand daneben, von dem sie hoffte, dass er frisches Wasser enthielt, und
sonst gab es nur diesen Schemel, auf dem sie saß. Sie hatte ihn abgerückt von der
fleckigen Wand und hockte nun da, hatte auf das erste Licht des Morgens warten wollen,
um ihre Umgebung zu erkunden. Der Morgen war bereits angebrochen, doch was sollte
sie sonst tun, als weiter hier zu sitzen und zu hoffen, dass sie nicht unvermittelt
einschlief und vom Hocker auf den Boden fiel? Diese Vorstellung machte sie schlagartig
wacher und holte sie ein Stück weit aus dieser merkwürdigen Benommenheit, die sie
die Dinge wie durch einen Schleier wahrnehmen ließ. So als wäre sie selbst nicht
wirklich anwesend.
Sie zwang
sich dazu nachzudenken, schloss die Augen, rekapitulierte das Geschehen vom Abend
zuvor. Jemand hatte an die Tür von ihrer und Marthas Kammer geklopft und leise Jolanthes
Namen gerufen. Die Stimme hatte merkwürdig dumpf geklungen. Sie hatte sich rasch
angezogen und das Zimmer verlassen, ohne Martha zu wecken. Auf dem Gang hatte sie
niemanden sehen können. Sie war zum Fenster gelaufen, hatte in den Hof geblickt.
Dort stand jemand in einem dunklen Umhang. Als er sie sah, winkte er zu ihr hoch.
Einer der Kaufleute, die mit ihnen gereist waren? Pascal, der sich einen Spaß mit
ihr erlaubte? Sie hatte sich nichts dabei gedacht, die Treppe hinunter zu laufen,
und unten ihre Unvorsichtigkeit schneller bereut, als ihr lieb war.
Der Mann
hatte sie festgehalten, ihr mit Hilfe eines nassen Tuches eine Flüssigkeit in den
Mund getropft, die merkwürdig schmeckte, ihr Mund und Nase zugehalten, sodass sie
schlucken musste. Es war ein Mittel, das sie benommen machte, sodass ihr Entführer
sie ohne Widerstand aus dem Haus ziehen konnte. An
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