Die Tochter von Avalon - Avalon High
tatsächlich geschah nichts Schlimmes.
Ich versuchte, den ganzen Sommer über die gleiche Routine beizubehalten. Jeden Morgen nach dem Aufstehen schlüpfte ich in meinen Bikini, dann schnappte ich mir einen Müsliriegel und lief runter zum Pool, um den Filterkorb nach Fröschen und Ähnlichem zu durchforsten. Sobald ich dann auch alles andere sauber gemacht hatte, kletterte ich mit einem Buch auf mein Floß und begann, mich treiben zu lassen.
Zu dem Zeitpunkt, als Geoff sich Richtung College aufmachte, war ich in dieser Disziplin schon so gut, dass noch nicht einmal mehr meine Haare nass wurden. Ich konnte den ganzen Morgen ohne Pause vor mich hin treiben, bis dann irgendwann meine Mutter oder mein Vater auf der Veranda erschienen und »Mittagessen!« riefen.
An den Tagen, an denen ich fürs Kochen zuständig war, zauberte ich für meine Mom, meinen Dad und mich Erdnussbutter-Sandwiches mit Gelee. Falls meine Eltern dran waren, gab es Rippchen vom Red Hot and Blue, ein paar hundert Meter die Straße runter. Schließlich waren sie beide zu sehr mit Bücherschreiben beschäftigt, um Zeit zum Kochen zu haben.
Anschließend ging ich wieder raus zum Pool, bis meine Mutter oder mein Vater dann irgendwann auf der Veranda erschienen und »Abendessen!« riefen.
Ich finde, das war nicht die schlechteste Art, die letzten paar Wochen des Sommers zu verbringen.
Aber meine Mutter war anderer Meinung.
Ich weiß nicht, warum sie sich überhaupt plötzlich einmischen und mir sagen musste, was ich mit meiner Zeit zu tun habe. Schließlich ist sie diejenige gewesen, die zugelassen
hat, dass mein Vater uns hierherschleppte, um für das Buch, an dem er schreibt, Nachforschungen anzustellen. Sie selbst hätte ihr eigenes Buch - über meine Namensschwester Elaine von Astolat, die Lady von Shalott - genauso gut zu Hause in St. Paul schreiben können.
Ach, genau. Das ist noch so eine Sache, wenn man Professoren als Eltern hat: Sie nennen ihre Kinder nach irgendwelchen x-beliebigen Autoren - wie den armen Geoff nach Geoffrey Chaucer - oder literarischen Figuren wie der Lady von Shalott, alias Lady Elaine, die Selbstmord beging, weil Sir Lancelot Königin Guinevere - das ist die, die in dem Film King Arthur von Keira Knightley gespielt wird - lieber mochte als sie.
Mir ist völlig egal, wie schön das Gedicht über sie ist. Es ist nicht gerade cool, nach einer Figur benannt zu sein, die sich wegen eines Kerls umgebracht hat. Ich habe mich deshalb schon mehrfach bei meinen Eltern beschwert, aber sie kapieren es noch immer nicht.
Das Vornamen-Ding ist allerdings nicht das Einzige, das sie nicht kapieren.
»Hast du keine Lust, ins Einkaufszentrum zu fahren?«, fing meine Mom plötzlich an, mich jeden Morgen zu fragen, noch bevor ich zum Pool entwischen konnte. »Willst du nicht ins Kino gehen?«
Nur leider hatte ich, seit Geoff auf dem College war, niemanden mehr, um ins Einkaufszentrum oder ins Kino zu gehen - außer natürlich meinen Eltern. Und auf gar keinen Fall würde ich mit ihnen gehen. Das hatte ich bereits versucht - Experiment misslungen. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit zwei Leuten im Kino zu sitzen, die den Film
genüsslich zu Tode sezieren. Ich meine, es war ein Vin Diesel, okay? Was hatten sie denn erwartet ?
»Jetzt fängt doch sowieso bald die Schule an«, erklärte ich meiner Mutter. »Warum kann ich bis dahin nicht einfach im Pool treiben?«
»Weil es nicht normal ist«, antwortete sie.
Worauf ich mir nicht verkneifen konnte, zu fragen: »Woher willst du denn wissen, was normal ist?« Denn, um den Tatsachen ins Auge zu sehen, meine Eltern sind beide Spinner.
Aber sie reagierte noch nicht mal sauer. Stattdessen schüttelte sie einfach den Kopf und meinte: »Ich weiß durchaus, was man als normales Verhalten einer Jugendlichen betrachtet. Und den ganzen Tag allein in diesem Pool herumzutreiben, gehört nicht dazu.«
Ich fand ihre Worte unnötig scharf. Es ist nichts Falsches daran, sich auf dem Wasser treiben zu lassen. Tatsächlich macht es wahnsinnig Spaß. Man kann sich hinlegen und lesen, oder, falls das Buch langweilig wird oder man es ausgelesen hat und zu faul ist, ins Haus zu laufen, um sich ein neues zu holen, beobachten, wie das Wasser die Sonnenstrahlen reflektiert und auf die Unterseiten der Blätter an den Bäumen über einem zurückwirft. Gleichzeitig kann man den Vögeln und Zikaden lauschen, und dem Rat-tatbum, das aus ziemlicher Entfernung vom Waffenübungsplatz der Marineakademie
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