Die Todesbotin
vierzig Jahre alt. Sein langes, rotes Haar wich schon weit aus der
Stirn zurück, aber zum Ausgleich trug er die längsten Koteletten, die ich
jemals gesehen hatte. Außerdem trug er einen lebhaft karierten Tweedanzug mit
passendem Hemd und blutroter Krawatte. Einen unbehaglichen Moment lang fragte
ich mich, ob er irrtümlich direkt aus dem 19. Jahrhundert hier hereinmarschiert
käme.
»Gott zum Gruß«, sagte er mit
tiefer, dröhnender Stimme. »Ich bin Calvin Burke .«
»Tag«, sagte ich. »Und ich
heiße Larry Baker .«
»Seltsame Auffassung von
Gastfreundschaft hat man in diesem Haus«, fuhr er fort. »Lord Mapleton weigert
sich, mich vor dem Dinner zu begrüßen, und niemand hat auch nur die geringste
Idee, wo sich Lady Mapleton im Augenblick aufhält. Traf nur diesen senilen
Butler im Flur, und der sagte mir, ich könnte hier drinnen etwas zu trinken
finden .«
Er trat an die Bar und goß sich
einen großen Scotch ein, den er sich mit einer einzigen Bewegung hinter die
Binde goß; dann füllte er das Glas neu. Mir schien, Boris hatte Konkurrenz
bekommen.
»Sind Sie auch zur Gespensterjagd
gekommen, Baker ?« erkundigte sich Burke.
»Ich bin mit meinem Partner
Boris Slivka hier, um einen Film für Lord Mapleton zu drehen«, informierte ich
ihn.
»Tatsächlich? Für erwachsene
Männer scheint mir das eine ziemlich kindische Beschäftigung zu sein .« Er zuckte die Schultern. »Was mich betrifft, so bin ich
Parapsychologe. Diese Burg fasziniert mich schon lange. Sie stinkt förmlich
nach Unheil, müssen Sie wissen. Aber wahrscheinlich haben Sie’s schon längst
selbst gerochen .«
»Ich könnte beim besten Willen
nicht sagen, wonach Unheil riecht .«
»Sie sind Realist, wie ?« Er kicherte. »Wohl keine Zeit für Dinge, die nachts
umgehen? Na ja, jedem das Seine. Ich für meinen Teil kann es fast nicht
abwarten, daß es Mitternacht wird .«
»Mitternacht ?« wiederholte ich.
»Das Gespenst kann nur zweimal
im Jahr erscheinen«, erläuterte er. »In der Mittsommernacht, die wir heute
haben, und in der Nacht darauf. Alle Mapletons haben
die alte Familientradition in Ehren gehalten. Um Mitternacht wird das
Burgverlies geöffnet, und der jeweilige Lord Mapleton verbringt die nächste
Stunde darin, in Erwartung des Gespenstes. Wir leisten ihm natürlich alle
Gesellschaft dabei, heute und morgen nacht .«
»Das wird bestimmt ein
Riesenspaß«, sagte ich deprimiert.
»Kennen Sie die Sage von Lady Christine
und...«
»Wort für Wort«, unterbrach ich
ihn hastig.
»Eine faszinierende
Geschichte«, fuhr er fort. »Daß man sie lebenden und hochschwangeren Leibes
eingemauert hat, war an sich schon böse genug. Aber der Bastard machte das Maß
voll, indem er behauptete, sie hätte sich mit dem Teufel eingelassen, und das
Kind wäre Satans Sprößling geworden. Es gibt eine bestimmte okkultistische
Schule, nach deren Lehre der Bastard damit tatsächlich das besondere Interesse
des Satans für die ganze Affäre erweckt haben könnte .«
»Das begreife ich nicht«,
gestand ich.
»Die Lady starb einen sehr
grausamen und tragischen Tod«, erklärte Burke gut gelaunt. »Wahrscheinlich
entschloß sie sich deshalb, die Stätte ihres Todes aus Rache immer wieder
heimzusuchen. Aber weil der Bastard ihren Tod zu einer Sache des Teufels
machte, könnte der Teufel seinerseits diesen Spuk seither zu seiner eigenen
Sache gemacht haben. Natürlich aus seinen speziellen diabolischen Motiven.«
Wieder kicherte er. »Ich für meinen Teil nehme diese Theorie nicht weiter
ernst, aber andererseits kann ich sie auch nicht völlig verwerfen. Meine
Erfahrungen als Parapsychologe haben gezeigt, daß es immer gefährlich ist, eine
Theorie völlig auszuschließen, so lächerlich sie auf den ersten Blick auch
aussehen mag .«
»Angenommen, wir sehen das
Gespenst wirklich heute nacht ?« erkundigte ich mich neugierig. »Was wollen Sie dann dagegen tun ?«
»Versuchen, einen gewissen
Kontakt herzustellen«, sagte er. »Ich gehöre nicht zu diesen Skeptikern, die
mit Fieberthermometer und sogenannten wissenschaftlichen Geräten herumlaufen
und beweisen wollen, daß der Geist weiter nichts ist als ein Produkt
überhitzter Phantasie. Andererseits lasse ich mich natürlich nicht so leicht
bluffen. Wenn irgend jemand da unten einen faulen Trick versucht, werde ich das
sofort durchschauen .«
Es machte mir ja nichts aus,
daß er ein Spinner war. Aber Spinner, die mich langweilen, konnte ich noch nie
ausstehen. Ich überlegte gerade, wie ich
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