Die Todesbotschaft
Risiko eingehen.«
»Das tust du ja auch. Wenn du dich wenigstens vorher über die Leute informieren würdest.«
»Etwa mit Hilfe von Google?«, fragte ich spöttisch. Eva-Maria verabscheute dieses Unternehmen und bezeichnete es als gefährlichen Datenkraken.
Aber sie ließ sich nicht provozieren, ihr Ton blieb völlig gelassen. »Es gibt genügend Suchmaschinen, die nicht alles über dich speichern, was ihnen in die Finger gerät, und die aus deinen Suchbefehlen kein Profil anlegen, bei dem dir gelinde gesagt Hören und Sehen vergehen würde, wenn du es denn überhaupt jemals zu Gesicht bekämst.«
Bei diesem Thema drifteten unsere Meinungen regelmäßig auseinander. »Die Menschen haben die Wahl. Du bist doch das beste Beispiel dafür, dass man sich all dem verweigern kann, wenn einem daran gelegen ist. Wenn ich Eva-Maria Toberg in eine Suchmaschine eingebe, erfahre ich lediglich, dass du fünfundvierzig bist, in Berlin lebst und dir als Restauratorin alter Meister einen Namen gemacht hast. Es existiert nicht einmal ein Foto von dir im Netz.«
»Gut so«, meinte sie zufrieden. »Ich glaube, ich werde nie begreifen, wie Leute im Internet ihr Innerstes nach außen kehren und die Überzeugung vertreten, sie hätten schließlich nichts zu verbergen. Dabei geht es gar nicht darum, etwas zu verbergen, sondern darum, etwas zu schützen, nämlich die Privatsphäre.«
»Wenn es nach dir ginge, würde die wie Fort Knox gesichert.«
»Ganz genau«, meinte sie mit einem schelmischen Grinsen, zog die Beine an und stand mit einem Schwung auf den Füßen. »Kommst du mit ins Wasser?«
Ich nickte und folgte ihr zum Seeufer. Während Eva-Maria mit kräftigen Zügen losschwamm, machte ich nur ein paar halbherzige Schwimmzüge, bis ich mich auf den Rücken drehte und aus halb geschlossenen Augen das Getümmel um uns herum betrachtete. An einem Tag wie diesem würde es noch Stunden dauern, bis sich die Wasseroberfläche glättete und Ruhe einkehrte.
Meine Gedanken drifteten zum Tegernsee, an dem ich aufgewachsen war. Von dem Grundstück, auf dem mein Elternhaus stand, führte ein Bootssteg ein gutes Stück in den See hinein. Meine Schwester Amelie und ich hatten mit unseren Freunden ganze Sommer dort verbracht.
Amelie war drei Jahre jünger als ich und seit einem Jahr mit Adrian verheiratet. Sie hatte sozusagen innerhalb der
Familie
geheiratet, womit ich sie hin und wieder aufzog. Adrian war ein Sohn von Carl Graszhoff, einem der drei Partner meines Vaters. Anstatt sich in die Welt aufzumachen, war Amelie lieber gar nicht erst fortgegangen, sondern hatte in München studiert und dort auch ihren ersten Job angenommen. Ich hingegen hatte direkt nach dem Abitur die Koffer gepackt.
An diesem Morgen hatte Amelie mir eine Mail geschickt, dass sie eine Überraschung für mich habe. Sie wollte mich am Abend anrufen.
»Hey, wo bist du gerade mit deinen Gedanken? Etwa wieder bei diesem Richard Stahmer?«, fragte Eva-Maria, die Anstalten machte, ans Ufer zurückzuschwimmen.
»Nein, bei Amelie. Ich glaube, sie ist schwanger.«
»Freust du dich nicht?«
»Doch, natürlich, sie hat sich ja nichts sehnlicher gewünscht. Aber irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, dass ihre Ehe mit Adrian eher etwas Vorübergehendes ist. Sie ist in dieser Beziehung der Motor, und ich weiß nicht, ob sie sich damit auf Dauer zufriedengeben wird. Adrian kann meinem Vater einfach nicht das Wasser reichen.« Kaum war der Satz heraus, hätte ich mir am liebsten die Hand vor den Mund geschlagen. »Oh Gott, Eva, das war nicht ich, die das gesagt hat, oder?« Wir waren am Ufer angekommen und trockneten uns ab. Ich musste über mich selbst lachen. »Solltest du jemals bereit sein, mich an den Tegernsee zu begleiten, werde ich dir meinen Vater endlich mal vorstellen. Dann wirst du wissen, was ich meine.«
Sie stimmte in mein Lachen ein. »Ich und Berlin verlassen? Vergiss es. Nicht einmal für den großen Alexander Benthien.«
»Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass er nur eins siebzig groß ist?«
»Hast du. Du hast aber auch gesagt, dass das vergessen ist, sobald er den Raum betritt.«
*
Doktor Radolf stellte immer wieder die gleichen Fragen. Nur waren sie jedes Mal ein wenig anders verpackt. Wenn Gesa das erkannte, atmete sie innerlich auf. Sie nahm es als Beweis, dass Teile ihres Gehirns funktionierten. Und sie begriff, dass ihr Arzt sie keinesfalls zu Antworten drängen wollte. Er nahm sich Zeit für sie. Und er ließ ihr Zeit.
Sie spürte,
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