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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Elly war Verlass.
    Mein nächster Anruf galt Niklas. Ich hatte mich kaum gemeldet, als er mir schwor, weder er noch sein Freund hätten damit auch nur das Geringste zu tun. Zwar könne er nicht gerade behaupten, dass es ihm um diese Verbrecher leidtäte, aber mir gelte sein ganzes Mitgefühl. Er wünsche sich nichts sehnlicher, als in diesem Moment bei mir zu sein. Ob ich nicht zu ihm nach Hamburg kommen wolle? Seine Stimme hüllte mich in einen Kokon von Wärme, die ich so nötig brauchen würde, um all das durchzustehen. Ich versprach, ihn am Wochenende zu besuchen.
    Schließlich machte ich mich auf den Weg zu Eva-Maria. Sie nahm mich an der Tür wortlos in den Arm und schob mich dann auf direktem Weg zu ihrem dunkelgrünen Sofa, um mich zwischen den vielen Kissen wie inmitten eines Schutzwalls zu plazieren.
    »Magst du etwas trinken?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf und sah dabei zu, wie sie sich neben mich setzte.
    »Die ganze Zeit über habe ich geglaubt, ich müsste nur endlich eine Entscheidung fällen«, sagte ich leise, »dass dann alles besser sein würde, leichter. Jetzt hat jemand anderes diese Entscheidung für mich gefällt, und ich fühle mich immer noch nicht viel anders. Einerseits bin ich froh darüber, dass Thomas Niemeyer in Haft ist. Aber meinen eigenen Vater mag ich mir in einer vergitterten Zelle nicht vorstellen. Ich weiß, was er getan hat, ich kann für keine einzige seiner Taten eine Entschuldigung finden. Aber ich kann auch keine Genugtuung spüren.«
    »Niemand erwartet das von dir. Egal, was er getan hat, er wird immer auch der Mensch bleiben, der er dir gegenüber war.«
    »Dieser Mensch hat mir meine Mutter genommen«, sagte ich und versuchte gar nicht erst, die Tränen zurückzudrängen, die sich hinter meinen Augen sammelten.
    Eva-Maria stand auf und verließ das Zimmer. Kurz darauf legte sie mir den Gesa-Ordner in die Hände. »Sie ist nicht verloren, Finja. Lies, was Doktor Radolf nach jeder Begegnung mit ihr geschrieben hat. Lies es Wort für Wort, gib aber auch dem Raum, was zwischen den Zeilen steht. Du wirst sie darin finden. Glaub mir.«
    *
    Nicht nur Finja hatte mit unlösbaren Konflikten zu kämpfen. Auch Eva-Maria fühlte sich in einem gefangen, aus dem sie nicht herausfand. Je länger sie ihrer Tochter von nun an die Wahrheit verschwieg, desto heftiger würden eines Tages ihre Vorwürfe ausfallen.
    Sie machte sich nichts vor: Zu erfahren, dass ihre Mutter noch lebte, würde alles nur noch mehr verwirren. Zu erkennen, dass sie seit acht Jahren eine intensive Freundschaft mit ihrer Mutter verband, würde nichts einfacher machen. Festzustellen, dass diese totgeglaubte Mutter ihren Vater ins Gefängnis gebracht hatte, würde das Maß des Erträglichen sprengen.
    Vielleicht würde ihre Freundschaft daran zerbrechen. Vielleicht würde es ihnen nicht gelingen, eine neue Beziehung auf den Scherben aufzubauen. Eva-Maria hatte ihre Tochter schon einmal verloren. Mit dieser Erfahrung ein zweites Mal konfrontiert zu werden, würde ihr all ihre Kräfte rauben.
    Sie fühlte sich wie in einem Labyrinth, dessen Ausgang sie nicht fand. Bis sie sich daran erinnerte, was ihr schon einmal geholfen hatte. Jahrelang hatte sie Seite um Seite ihrer Tagebücher gefüllt, um sich dessen zu versichern, was in der Realität geschehen war. Um das Geschehene nicht noch einmal aus dem Gedächtnis zu verlieren.
    Jetzt begann sie, Seiten zu füllen, um sie eines Tages ihrer Tochter zum Lesen zu geben. Es war eine Möglichkeit, ihr die Vergangenheit aus ihrer Sicht zu schildern, ihr begreiflich zu machen, warum sie die Umschläge abschicken musste.
    Während Finja das Wochenende bei Wendelin Radolfs Sohn verbrachte, schrieb sie Stunden um Stunden. Bis sie das Buch schloss und es mit einem Gefühl der Erleichterung zur Seite legte.

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Über Sabine Kornbichler
    Sabine Kornbichler, 1957 in Wiesbaden geboren, wuchs an der Nordsee auf. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Hamburg arbeitete sie mehrere Jahre als Beraterin in einer Frankfurter PR-Agentur. Sabine Kornbichler ist verheiratet und lebt und arbeitet heute als Autorin in München. Gleich ihr erster Roman, »Klaras Haus«, war ein großer Erfolg. Es folgten die Romane »Steine und Rosen«, »Majas Buch«, »Annas Entscheidung«, »Nur ein Gerücht«, »Im Angesicht der Schuld«, »Gefährliche Täuschung«, »Der gestohlene Engel« und »Das Richterspiel« sowie der Kurzgeschichtenband »Vergleichsweise wundervoll«.
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