Die Todesbraut
Tiefgeschosses, ein anonymes Gesicht in der Menge, bis er den Bahnsteig erreichte. Hier herrschte dichtes Gedränge, die Fahrgäste standen Schulter an Schulter, und Tom schob sich hindurch, bis er in der vordersten Reihe am Bahnsteig stand.
Der Whiskey hatte nun seine Wirkung entfaltet. Nicht, daß Tom betrunken gewesen wäre, er war nur völlig abgestumpft und ohne jedes Gefühl. Er spürte den Windstoß, hörte das Donnern des sich nähernden Zuges und vernahm auch die Stimme, die plötzlich seinen Namen rief:
»Tom! Warte auf mich!«
Er drehte sich halb herum, sah, wie Grace Browning versuchte, sich durch die Menschenmenge zu ihm hindurchzu drängen, wandte sich wieder um, und als der Zug aus dem Tunnel schoß, machte er einen Schritt nach vorne und stürzte vor den Zug.
Kaum vierzig Minuten später gab der Computer in Hannah Bernsteins Büro im Verteidigungsministerium ein summendes Geräusch von sich. Sie stand auf, trat an den Drucker, riß einen Streifen Papier ab und begann zu lesen.
»Lieber Himmel!« flüsterte sie und rief dann: »Dillon! Wo stecken Sie?« Dann stürzte sie in Fergusons Büro.
Ferguson saß am Schreibtisch und sah alarmiert hoch. »Was gibt es denn?«
Eben betrat auch Dillon das Büro.
»Professor Tom Curry«, stieß Hannah aus. »Ich bat das Central Records Office, mir eventuelle Neuigkeiten über ihn sofort zu übermitteln, dasselbe habe ich natürlich auch in bezug auf die anderen veranlaßt. Und eben kam die Nachricht, daß Curry sich in der Westminster U-Bahn-Station vor einen Zug geworfen hat.«
»Tot, vermutlich«, stellte Ferguson fest.
»Ja. Anhand der Brieftasche in seinem Jackett konnte er sofort identifiziert werden. Der diensttuende Polizeibeamte funkte es umgehend an das CRO. Kaum war die Nachricht in deren Computer gespeichert, wurde sie mir dann auch schon übermittelt.«
Dillon zündete sich eine Zigarette an. »Warum hat er das nur getan?«
»Wegen Rupert Lang, nehme ich an«, mutmaßte Ferguson. »Sie lebten doch seit Jahren zusammen, Dillon. Möglicherweise konnte er Langs Tod schlichtweg nicht ertragen.«
»Was bedeutet das für uns, Sir?«
»Zwei sind tot, also bleibt nur noch einer übrig«, meinte Dillon lakonisch.
»Zwei«, verbesserte ihn Ferguson. »Vergessen Sie Belov in der Botschaft nicht.«
»Was wollen Sie in bezug auf ihn unternehmen, Sir?« fragte
Hannah.
»Den lassen wir noch eine Weile schmoren. Diese Geschichte mit der diplomatischen Immunität ist immer diffizil.«
»Und Grace Browning?«
»Wie man es auch betrachten mag, sie ist jetzt jedenfalls auf sich alleine gestellt«, bemerkte Dillon.
»Das fürchte ich auch«, meinte Ferguson. »Fast könnte sie mir leid tun.«
»Ach, Sie alter Gauner«, rief Dillon, »Sie hatten doch in Ihrem ganzen Leben noch nie Mitleid mit irgend jemand!«
Ferguson ignorierte die Bemerkung. »Vielleicht hat sie ja noch gar nichts von Currys Tod gehört. Die Medien werden sich natürlich auf die Tatsache stürzen, daß er seit Jahren mit Rupert Lang zusammenlebte, und daraus ihre Schlüsse ziehen.«
»Wenn man es bedenkt, ist das doch eigentlich ganz praktisch«, meinte Dillon. »Wenn sich nun noch Grace Browning mit ihrem Motorrad den Hals brechen würde, könnte man alles ganz herrlich vertuschen. Sie könnten Yuri Belov einladen, sich auf unsere Seite zu schlagen, statt sich in Moskau stundenlang um einen Laib Brot anzustellen. Er hätte sicherlich eine Fülle pikanter Informationen für uns.«
»Sie sind ein eiskalter und gefühlloser Bastard, Dillon!« fauchte Hannah.
»Aber er hat nicht unrecht«, bemerkte Ferguson. »Unter den gegebenen Umständen werde ich Miss Browning mal die Daumenschrauben anlegen, denke ich«, meinte er und griff nach dem Telefonhörer.
Grace Browning war in das Hause am Cheyne Walk zurückgekehrt und saß mit einer Tasse sehr heißem und sehr süßem Tee am Küchentisch. So nüchtern wie möglich versuchte sie, die augenblickliche Situation abzuwägen. Als das Telefon klingelte, hob sie sofort ab.
»Brigadier Charles Ferguson am Apparat. Ich denke, Sie wissen, wer ich bin«, meldete sich Ferguson.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte sie gelassen.
»Da es bereits in allen Nachrichtensendungen an erster Stelle gemeldet wurde, nehme ich an, daß Sie von dem tragischen Unfalltod Ihres lieben Freundes Rupert Lang gehört haben.«
»Ja, ich hörte es
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