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Die Todesliste

Die Todesliste

Titel: Die Todesliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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verwirrte Offizier trat zurück und hielt die Tür auf. Er hätte bebend salutiert und sich mit dem Rücken an die Wand gedrückt, wenn der Oberkommandierende vorbeimarschiert wäre. Kein Geringerer als General Schaukat, und er und der Amerikaner aßen zusammen.
    »Natürlich, natürlich. Wo sind nur meine Manieren? Treten Sie ein.«
    Er ging voraus in ein bescheiden eingerichtetes Wohnzimmer. Seine Frau stand unschlüssig abseits. »Chai!«, kläffte der Colonel, und sie hastete hinaus, um den Tee aufzubrühen, die rituelle Begrüßung für geehrte Gäste.
    Der Spürhund überreichte seine Karte mit dem Namen Dan Priest, leitender Redakteur der Washington Post .
    »Sir, mein Chefredakteur hat mich beauftragt, mit dem vollen Einverständnis Ihrer Regierung, ein Porträt Mullah Omars zu schreiben. Wie Sie wissen werden, ist er noch nach all den Jahren eine sehr zurückgezogen lebende Gestalt, über die man wenig weiß. Der General hat mich annehmen lassen, Sie hätten ihn kennengelernt und mit ihm gesprochen.«
    »Tja, ich weiß nicht, ob …«
    »Oh, kommen Sie, Sie sind zu bescheiden. Mein Freund sagt, Sie hätten ihn vor zwölf Jahren nach Quetta begleitet und dort eine entscheidende Rolle in den bilateralen Gesprächen gespielt.«
    Lieutenant Colonel Ali Schah richtete sich immer höher auf, als der Amerikaner ihn mit Komplimenten überschüttete. General Schaukat hatte ihn also doch bemerkt. Er legte die Fingerspitzen aneinander und bekannte, er habe tatsächlich mit dem einäugigen Talibanführer gesprochen.
    Der Tee kam. Als Mrs. Ali Schah ihn servierte, bemerkte der Spürhund, dass sie ganz außergewöhnliche jadegrüne Augen hatte. Von so etwas hatte er schon gehört. Das gab es bei den Bergbewohnern der Stämme entlang der Durand-Linie, der wilden Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan.
    Vor 2300 Jahren, hieß es, war Alexander der Große, Iskandar von Makedonien, der junge Gott vom Morgen der Welt, durch diese Berge gezogen, nachdem er das Perserreich zerschlagen hatte und als Nächstes Indien erobern wollte. Aber seine Männer waren müde, erschöpft von seinen unablässigen Feldzügen, und auf dem Rückmarsch vom Indusfeldzug desertierten sie in Scharen. Wenn sie nicht zu den Hügeln Makedoniens zurückkehren könnten, wollten sie sich in diesen Bergen und Tälern niederlassen, sich Bräute nehmen, gutes Ackerland bebauen und nicht mehr kämpfen und marschieren.
    Die Augen des kleinen Mädchens, das sich in dem Dorf Qala-e-Zai hinter Mahmud Guls Gewand versteckt hatte, waren leuchtend blau gewesen, nicht braun wie die der Pandschabis. Und der verlorene Sohn?
    Der Tee war noch nicht getrunken, als das Gespräch zu Ende war. Er hatte nicht gedacht, dass es so abrupt geschehen würde. »Ich glaube, Colonel, Sie wurden damals von Ihrem Sohn begleitet, der Paschtu spricht.«
    Der Armeeoffizier sprang aus seinem Sessel und stand kerzengerade da. Er war offensichtlich empört, und zwar zutiefst.
    »Sie irren sich, Mr. Priest. Ich habe keinen Sohn.«
    Der Spürhund erhob sich ebenfalls und stellte betreten seine Tasse ab.
    »Aber man hat mir gesagt … ein junger Bursche namens Zulfikar …«
    Der Colonel stakste zum Fenster, verschränkte die Hände auf dem Rücken und starrte hinaus. Er zitterte vor unterdrücktem Zorn, doch der Spürhund konnte nicht erkennen, auf wen – auf den Gast oder auf seinen Sohn.
    »Ich wiederhole, Sir, ich habe keinen Sohn. Und ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.«
    Das Schweigen war eisig. Offensichtlich war es eine Aufforderung an den Amerikaner zu gehen. Er warf einen Blick zu der Ehefrau des Colonels hinüber.
    Die jadegrünen Augen schwammen in Tränen. Hier lag offensichtlich ein Familientrauma vor, und zwar schon seit Jahren.
    Mit ein paar ungeschickten Entschuldigungen zog der Spürhund sich zur Tür zurück. Die Frau begleitete ihn. Als sie ihm die Tür aufhielt, sagte er leise: »Sorry, Lady, wirklich sorry.«
    Es war klar, dass sie kein Englisch sprach und wahrscheinlich auch kein Arabisch. Aber das Wort »sorry« ist international ziemlich gebräuchlich, und vielleicht kannte sie es. Sie schaute ihn mit Tränen in den Augen an, sah sein Mitgefühl und nickte. Dann war er draußen, und die Tür schloss sich.
    Er musste eine halbe Meile weit gehen, bis er zur Airport Road kam. Dort fand er ein Taxi, das ihn in die Stadt brachte. Von seinem Hotelzimmer aus rief er den Kulturattaché an. Falls der Anruf abgehört wurde – was sicher der Fall war –, machte

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