Die Todesliste
lächelte leise.
»O nein. Er hat mich nicht entdeckt. Er betreibt immer noch den Fanklub. Er hätte längst abgeschaltet, wenn er wüsste, dass ich ihn beobachte.«
Der Spürhund zog sich rückwärts aus der Dachkammer zurück und stieg die Leiter zum Treppenabsatz hinunter. Er würde das alles an TOSA übertragen lassen. Innerhalb weniger Tage würde er ein UAV , ein »Unmanned Aerial Vehicle«, landläufig »Drohne« genannt, lautlos und unsichtbar über diesem Schuppen kreisen lassen, wo es ihn beobachtete, auf jedes Raunen im Cyberspace lauschte, Bewegung und Körperwärme verzeichnete und das Kommen und Gehen fotografierte. Alles, was die Drohne registrierte, würde sie in Echtzeit an die Monitore auf dem Stützpunkt Creech in Nevada oder nach Tampa, Florida, senden, und von dort würde es an TOSA weitergeleitet werden. Einstweilen hatte er mit dem, was er aus Islamabad mitgebracht hatte, eine Menge zu tun.
Stundenlang betrachtete der Spürhund das Foto des Bildes, das Mrs. Ali Schah so kostbar war. Er hatte es im Labor bearbeiten lassen, bis es messerscharf war. Er schaute die beiden lächelnden Gesichter an und fragte sich, wo sie jetzt sein mochten. Der Junge rechts war ihm gleichgültig. Es war der Junge mit den Bernsteinaugen, dessen Gesicht er studierte, wie General Montgomery im Zweiten Weltkrieg das Gesicht Rommels studiert hatte, des deutschen Wüstenfuchses, um sich vorzustellen, was der als Nächstes tun würde.
Der Junge auf dem Foto war siebzehn. Das war vor seiner Bekehrung zum Ultradschihadismus, vor Nine/Eleven, vor Quetta, bevor er seine Familie verlassen und sich den Mördern von Laschkar-e-Taiba, der Brigade 313 und des Hakkani-Clans angeschlossen hatte.
Seine Erfahrungen, der Hass und die Morde, die er unweigerlich mit angesehen haben musste, das harte Leben im Bergland der Stammesgebiete – das alles hatte das Gesicht des lachenden Jungen sicher altern lassen.
Der Spürhund schickte ein klares Bild des maskierten Predigers und die linke Hälfte des Bildes aus Islamabad an eine hoch spezialisierte Einheit. Beim Criminal Justice Information Service, dem »Strafrechtlichen Informationsdienst« des FBI in Clarksburg, West Virginia, gibt es ein Speziallabor für das Altern von Gesichtern.
Er bat sie, ihm ein Gesicht zu schicken – das Gesicht von heute. Dann ging er zu Gray Fox.
Der TOSA -Direktor betrachtete beifällig das Material. Endlich hatten sie einen Namen. Bald würden sie auch ein Gesicht haben. Sie hatten ein Land, und vielleicht sogar eine Stadt.
»Glauben Sie, er wohnt da, in diesem Lagerhaus in Kismaju?«
»Das bezweifle ich. Er bemüht sich in einem paranoiden Maß um Unsichtbarkeit. Ich wette, er wohnt anderswo, zeichnet seine Predigten mit dem Camcorder vor einem bettlakengroßen Hintergrund mit den Koranversen auf, die wir auf dem Monitor sehen, und lässt sie von seinem Assistenten, den wir Troll nennen, abholen und von Kismaju aus ins Netz stellen. Er sitzt noch nicht in der Falle. Noch lange nicht.«
»Und was jetzt?«
»Ich brauche ein UAV über diesem Schuppen, und zwar im Dauereinsatz. Ich würde einen Tiefflugeinsatz beantragen, um das Gebäude von der Seite fotografieren zu lassen und zu sehen, ob ein Firmenname an der Wand steht, nur wäre das sicher Zeitverschwendung. Trotzdem muss ich herausfinden, wem der Bau gehört.«
Gray Fox studierte das Bild aus dem All. Es war schon ziemlich scharf, aber mit militärischer Technologie würde man aus fünfzigtausend Fuß Höhe die Nieten im Dach zählen können.
»Ich rede mit den Drohnenleuten. Sie haben Startplätze in Kenia im Süden, in Äthiopien im Westen und in Dschibuti im Norden, und die CIA hat eine sehr geheime Einheit in der Enklave von Mogadischu. Sie kriegen Ihre Fotos. Da Sie jetzt sein Gesicht haben, das er so gern versteckt, und seinen Namen – werden Sie seine Deckung auffliegen lassen?«
»Noch nicht. Ich habe noch eine Idee.«
»Wie Sie wollen, Spürhund. Also legen Sie los.«
»Eins noch. Ich könnte selbst fragen, doch das Gewicht des J-SOC im Hintergrund wäre hilfreich. Hat die CIA oder sonst jemand einen Geheimagenten in Südsomalia versteckt?«
Eine Woche später geschahen vier Dinge. Der Spürhund hatte die Zeit genutzt, um sich in die tragische Geschichte Somalias zu vertiefen. Früher waren es drei Länder gewesen. Französisch-Somaliland oben im Norden war heute Dschibuti. Es stand immer noch unter starkem französischem Einfluss und hatte eine Garnison der Fremdenlegion und
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