Die Todesliste
Tür, und die Frau erschrak. Das war nicht ihr Mann. Es war zu früh, und außerdem würde er nicht anklopfen. Anderen Besuch erwartete sie nicht. Sie stand auf, sah sich hilflos um, zog eine Schublade der Anrichte an der Wand auf und legte das Foto hinein. Wieder klopfte es. Sie ging hinaus.
In zwei Schritten war der Spürhund bei der Schublade. Er nahm das Bild heraus und fotografierte es zweimal mit seinem iPhone. Als Mrs. Schah mit dem verwirrten Fahrer zurückkam, saß ihr älterer Gast wieder im Sessel, und der jüngere stand mit fragendem Blick daneben. Der Spürhund stand freundlich lächelnd auf.
»Ah, ich sehe, es ist Zeit zu gehen. Ich muss zum Flughafen. Es tut mir so leid, dass ich Ihren Mann verpasst habe. Bitte richten Sie ihm meine besten Grüße und mein Bedauern darüber aus, dass ich ihn gekränkt habe.«
Das alles wurde übersetzt, und sie verließen das Haus. Als sie weg waren, holte Mrs. Schah ihr kostbares Foto aus der Schublade und brachte es wieder in sein Versteck.
Auf der Fahrt zum Flughafen vergrößerte der Spürhund das Foto auf dem Display und betrachtete es. Er war nicht grausam, und es gefiel ihm nicht, die ehemals schöne Frau mit den jadegrünen Augen zu hintergehen. Aber wie sollte man einer Mutter, die immer noch um ihr verlorenes Kind weint, klarmachen, dass man das Monster, das aus ihm geworden ist, jagen und zur Strecke bringen wird?
Vierundzwanzig Stunden später landete er in Washington.
Der Spürhund kauerte in der Enge des Dachbodens in dem kleinen Haus in Centreville und starrte auf den Monitor. Neben ihm saß Ariel an seinem Keyboard wie ein Pianist vor seinem Konzertflügel. Er hatte alles unter Kontrolle. Mit der Ausrüstung, die TOSA ihm geschenkt hatte, gehörte ihm die ganze Welt.
Seine Finger huschten über die Tasten, und Bilder kamen und gingen, während er erklärte, was er getan hatte.
»Der Internetverkehr des Trolls kommt von hier«, sagte er.
Die Bilder stammten von Google Earth, aber irgendwie hatte er sie verbessert. Aus dem All stürzte der Betrachter senkrecht zur Erde wie der tollkühne Himmelsstürmer Felix Baumgartner. Die Arabische Halbinsel und das Horn von Afrika füllten den Bildschirm aus und schienen dann an seinen Ohren vorbeizurauschen, als es in rasendem Tempo abwärtsging. Schließlich stoppte der irrwitzige Sturzflug, und er schaute auf ein Dach: viereckig und hellgrau. Ein Hof schien da zu sein, ein Tor. Im Hof parkten zwei Lieferwagen.
»Der Prediger ist nicht im Jemen, wie Sie vielleicht dachten, sondern in Somalia. Das hier ist Kismaju. An der Küste am südlichen Ende des Landes«, sagte Ariel.
Der Spürhund betrachtete das Bild fasziniert. Alle hatten sich geirrt – CIA , TOSA , Anti-Terror –, als sie annahmen, dass ihre Zielperson von Pakistan in den Jemen gewandert sei. Wahrscheinlich war er dort gewesen, aber er war weitergezogen und hatte nicht bei al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel Zuflucht gesucht, sondern bei den Fanatikern von AQHA : al-Qaida am Horn von Afrika, ehemals al-Schabaab, die die Südhälfte von Somalia beherrschte, eine der wildesten Gegenden der Welt.
Jetzt gab es eine Menge zu recherchieren. Soweit er wusste, war Somalia außerhalb der gesicherten Enklave der Scheinhauptstadt Mogadischu buchstäblich Sperrgebiet seit dem als »Blackhawk Down« bekannten Zwischenfall, bei dem achtzehn Ranger abgeschlachtet worden waren. Dieses Ereignis hatte sich in das amerikanische Militärgedächtnis unauslöschlich eingebrannt, und zwar nicht auf angenehme Weise.
Wenn Somalia überhaupt für etwas berühmt war, dann für die Piraten, die seit zehn Jahren vor der Küste Schiffe kaperten und sie mitsamt Ladung und Besatzung gegen millionenschweres Lösegeld zurückgaben. Aber die Piraten waren im Norden, in Puntland, einer weiten, trostlosen Wildnis, bevölkert von Clans und Stämmen, die der viktorianische Forscher Sir Richard Burton einst als die wildesten Menschen der Welt bezeichnet hatte.
Kismaju lag tief im Süden, zweihundert Meilen weit nördlich der kenianischen Grenze. Zu Kolonialzeiten war es ein blühendes italienisches Handelszentrum gewesen, doch jetzt war es ein gärender Slum, beherrscht von fanatischen Dschihadisten, extremer als alle anderen im Islam.
»Weißt du, was für ein Gebäude das ist?«, fragte er Ariel.
»Nein. Ein Lagerhaus, ein großer Schuppen, was weiß ich. Aber da betreibt der Troll den Fanklub. Da steht sein Computer.«
»Weiß er, dass du es weißt?«
Der junge Mann
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