Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Todesspirale

Die Todesspirale

Titel: Die Todesspirale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
Vom Netzwerk:
rechte Bein auf die Bande und beugte den Oberkörper darüber. Ich war nie besonders gelenkig gewesen, selbst vor der Schwangerschaft konnte ich von einem Spagat nur träumen, Silja dagegen schien in jeder Richtung biegsam zu sein.
    Soweit ich mich erinnere, hatte sie sogar die BiellmannPirouette in ihrer Kür.
    «Wie hätte Noora reagiert, wenn ein Fremder sie angegriffen hätte? Wäre sie weggelaufen oder hätte sie sich ge-wehrt?»
    «Du meinst, sie hätte selbst die Schlittschuhe aus der Tasche genommen und wäre damit auf den Angreifer losgegangen?», ergänzte Silja meinen Gedankengang. «Dazu wäre sie imstande gewesen.»
    «Silja, aufs Eis!», ertönte Elena Grigorievas Stimme vom Nordende der Halle. Die entsetzliche QueenInstrumentali-sierung, die bereits eine Weile im Hintergrund gedudelt hatte, wurde lauter. Achselzuckend nahm Silja die Kufenschoner ab und betrat die Eisfläche, beugte sich noch einmal zu uns und sagte:
    «Elena kennt keine Gnade. Es wird gelaufen, und wenn der Himmel einstürzt.»
    Dann glitt sie über das Feld, wobei es anfangs nur darum ging, sich warm zu laufen und ein Gespür für das Eis zu bekommen. Bogen, Schlinge, Dreier, bei Silja sahen selbst die einfachen Grundfiguren anmutig aus. Koivus Augen folgten der blonden Gestalt im grauen Trikot mit sehnsüchtigem Blick. Der arme Kerl, sein Herz war tatsächlich wieder einmal in Gefahr.
    «Schön, nicht wahr?», bemerkte ich leichthin.
    «Wunderschön. Aber wenn du im Präsidium was verrätst, bring ich dich um», wisperte Koivu.
    Ich bring dich um. Wie leicht sagte sich das, und es bedeutete nichts weiter als: Sei so lieb und halt den Mund. Sicher hatten Jannes Worte auch nicht mehr bedeutet.
    Janne kam nun auch aufs Eis, glitt vorsichtig, beinahe tas-tend über die blanke Fläche. Sicher war er seit Donnerstag nicht mehr gelaufen. Ob er vorhatte, sich als Einzelläufer zu versuchen? Oder wurde bereits eine neue Partnerin für ihn gesucht?
    Wir schoben uns näher an Elena Grigorieva heran, die sich an die Bande lehnte. Ihr dicker brauner Wollmantel war im ewigen Winter der Eishalle genau das Richtige. Pathetische Streichmusik begleitete das Rauschen der Kufen, bei jeder Bremsung stoben Eiskristalle auf.
    «Frau Grigorieva, wir möchten mit Ihnen über Mittwochabend sprechen …»
    «Gehen Sie weg! Sehen Sie nicht, dass ich arbeite?»
    «Wir auch. Sie haben ausgesagt, Sie wären am Mittwochabend mit Ihrem Mann zum Einkaufen und anschließend nach Hause gefahren. Einer Zeugenaussage nach war Ihr Mann jedoch am Mittwoch kurz vor sieben Uhr in seinem Fitnesscenter.»
    Die Trainerin, die bis dahin aufs Eis geschaut hatte, drehte sich abrupt um.
    «Wann soll ich das gesagt haben?»
    «Am Donnerstag, als ich mit Kriminalmeister Pihko bei Ihnen war.»
    «Am Donnerstag! Da hatten Sie mir doch gerade mitgeteilt, dass Noora tot ist. Das hat mich völlig aus der Fassung gebracht, ich konnte nicht klar denken!»
    «Sie geben also zu, nicht die Wahrheit gesagt zu haben?»
    «Gelogen habe ich nicht! Sie können mich nicht für das verantwortlich machen, was ich in der Situation gesagt habe.
    Sie müssen sich doch erinnern, war ich Ihrer Meinung nach etwa ausgeglichen?»
    Natürlich erinnerte ich mich an die Weinkrämpfe, die zer-schmetterte Vase und an ihre hartnäckige Überzeugung, Noora sei überfahren worden. So hatte sie es auch Rami Luoto erzählt, als hätte sie nicht verstanden, was wir gesagt hatten. Oder war all das nur ein Täuschungsmanöver?
    Auch Rami war nun auf dem Eis und lief dieselben Grundfiguren wie Silja und Janne. Er bewegte sich immer noch geschmeidig wie ein Jüngling, irgendwie war es nett, einen bereits ergrauten Mann auf dem Eis zu sehen, wo sonst Zwanzigjährige liefen. Alle drei entwickelten ein wahnsinniges Tempo und schienen das Feld besser auszufüllen als zwei komplette Eishockeymannschaften. Vielleicht wirkte die zäh-flüssige Instrumentalversion des QueenHits «Radio Gaga»
    inspirierend. Ich selbst hätte allerdings lieber den seligen Freddie gehört als vibrierende Geigen.
    «Janne! Lass den Kopf nicht so hängen!», rief Elena Grigorieva. Die richtige Kopfhaltung war, soweit ich wusste, beim Eiskunstlauf sehr wichtig, da sie sich nicht nur auf den allgemeinen Eindruck auswirkte, sondern auch auf das Gelingen der Sprünge und Pirouetten. Silja stoppte an der Bande und machte weitere Dehnübungen, lockerte die Schulterblätter und den Oberkörper und ließ die Finger kreisen wie eine Pia-nistin vor dem Konzert.

Weitere Kostenlose Bücher