Die Todesspirale
Dennoch hatten sie sowohl bei Europa als auch bei Weltmeisterschaften Medaillen gewonnen. Anton Grigoriev war vor etwa acht Jahren ums Leben gekommen, bei einem Autounfall, soweit ich mich erinnerte. Die mittlerweile elfjährige Tochter Irina galt als talentierte Nachwuchsläuferin.
Wo Elena ihren zweiten Mann Tomi Liikanen, Besitzer eines Fitnesscenters, kennen gelernt hatte, wusste ich nicht.
Sie hatten vor einigen Jahren geheiratet, und Elena war mit ihrer Tochter nach Finnland gezogen. Der hiesige Eislaufverein, der ELV Espoo, hatte sie als Trainerin engagiert, und die ersten Resultate zeigten sich bereits. Silja Taskinen würde mir sicher manches über ihre Trainerin erzählen können. Ich hatte sie als zielstrebige und strenge, fast ein wenig einschüch-ternde Läuferin in Erinnerung, die so gut wie nie lächelte.
Den Namen ihres zweiten Mannes hatte sie nicht angenommen.
Tomi Liikanen kannte ich flüchtig, denn ich trainierte gelegentlich in seinem Fitnesscenter «Tommy’s Gym» in Olari.
Tomi war ein ziemlicher Muskelprotz und genoss es, sich vor den Frauen, die bei ihm trainierten, zur Schau zu stellen.
Zwar hatte die Polizeibehörde von Espoo einen eigenen Fitnessraum, den wir einmal wöchentlich in der Arbeitszeit benutzen durften, doch ich trainierte ungern in Gesellschaft meiner Kollegen, weil ich bei der Schinderei an den Geräten nicht an berufliche Dinge denken wollte. Manchmal ging ich nach Tapiola oder Kamppi, und manchmal eben in «Tommy’s Gym». Mit einer Schlüsselkarte hatte man jederzeit Zutritt, ich war schon ganz allein dort gewesen.
«Da sind wir.» Pihko parkte am Rand eines Sportplatzes, auf dem halbwüchsige Jungen Fußball spielten, während der Lehrer versuchte, sie an Regeln zu erinnern. In dem Alter hatte ich auch Fußball gespielt, als einziges Mädchen in einer Jungenmannschaft. Ich war damit ganz gut zurechtgekom-men, war aber froh, dass mein Kind, falls es ein Mädchen war und eines Tages Fußball spielen wollte, in einer Mädchen-mannschaft kicken konnte, ohne schief angeguckt zu werden.
Wir fuhren mit dem Aufzug in den siebten Stock. Pihko hielt geflissentlich Abstand von meinem Bauch, der sich un
übersehbar wölbte. Es war mir gelungen, bis Anfang April meine Schwangerschaft vor den Kollegen zu verbergen, obwohl Ström meinen Zustand bereits im Januar erkannt hatte.
Es wunderte mich immer noch, dass er den Mund gehalten hatte, abgesehen von dummen Bemerkungen unter vier Augen. Im April hatte ich mich dann entschlossen, Taskinen zu informieren, nicht zuletzt, damit er eine Vertretung besorgen konnte. Lange hätte ich meinen Zustand ohnehin nicht mehr geheim halten können.
Die Tür, an der «Grigorieva» und «Liikanen» stand, wies einige Dellen auf. Hatte jemand versucht, gewaltsam hier einzudringen? Auf Pihkos Klingeln wurde sofort geöffnet, als hätte Elena Grigorieva uns erwartet.
«Kriminalhauptmeisterin Kallio und Kriminalpolizeimeis-ter Pihko von der Polizei Espoo, guten Tag. Sie sind Elena Grigorieva?»
Die Frau sah uns zuerst verblüfft, dann wütend an, ihre dunkelbraunen Augen funkelten.
«Wollen Sie schon wieder meine Aufenthaltserlaubnis sehen? Sie ist in Ordnung, wie oft muss ich Ihnen das sagen!
Unglaublich, dass man selbst in diesem Land nicht in Ruhe seine Arbeit tun darf!» Sie wollte die Tür zumachen, aber ich schob meinen Bauch dazwischen.
«Es handelt sich nicht um Ihre Aufenthaltserlaubnis. Es geht um Noora Nieminen. Dürfen wir hereinkommen?»
«Noora? Was ist mit ihr? Hat der Verrückte ihr etwas angetan?» Erschrocken winkte sie uns herein und führte uns in ein enges Wohnzimmer mit unzähligen Spitzendeckchen, Beistelltischen und Nippes.
«Sie haben es also noch nicht gehört. Es tut mir Leid, Noora Nieminen ist tot.»
Ihr Aufschrei ließ uns beide zusammenfahren.
«Njet! Njet! Das kann nicht sein! Ich sollte Noora zur Weltmeisterin machen!»
In letzter Sekunde konnte ich der Kristallvase ausweichen, die haarscharf an meinem Kopf vorbeiflog und das Balkonfenster zerschlug. Pihko fasste die Frau am Arm und führte sie mit sanftem Druck zur Couch. Ich schüttelte die Glassplitter aus den Haaren, schritt vorsichtig über die Scherben und setzte mich zu ihr. Elena Grigorieva war in Tränen ausgebrochen, Pihko holte aus der Küche Haus-haltspapier und ein Glas Wasser, das sie ablehnte. Nach einigen Minuten beruhigte sie sich jedoch. Sie barg den Kopf in den Händen, atmete ein paar Mal tief ein, hielt die Luft an, stieß sie
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