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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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sie gedrängt, sich zu melden, sich irgendwo mit ihm zu treffen. Doch niemals hatte er geschrieben: »Komm nach Hause.« Er war zu unsicher, zu verängstigt, solange er nicht wusste, was sie wusste.
    In den ersten Jahren nach Sadies Verschwinden hatte Leo mit dem Gedanken gespielt, nach seinem Bruder zu suchen und ihn geradewegs zu fragen. Ein schwieriges Unterfangen. In den Jahren nach Tessas Tod hatten sie sich aus den Augen verloren. Leo wusste nicht einmal sicher, wo Bill lebte, ob in England, Südafrika oder anderswo. Während er noch mit sich gerungen hatte, hatte er von einem Anwalt aus London gehört, dass Bill gestorben war. Seine Töchter waren voller Mitgefühl gewesen. Doch Leo konnte nicht sagen, was er empfand. Er war seinem Bruder schon so lange entfremdet. Nun war ihm jede Möglichkeit, sich mit Bill zu verständigen und die Wahrheit herauszufinden, genommen.
    Er hatte es weitgehend verdrängt. Aber nun konnte er nicht länger mit der Ungewissheit leben. Es gab einen Grund, warum er das Foto von Sadie entdeckt hatte – Schicksal, Tessa, irgendetwas. Er musste die Dinge in Ordnung bringen, solange er konnte, solange er noch da war, den Zwist zwischen ihnen beilegen, sie an ihre Bande erinnern. Aber diesmal würde er Sadie auf Augenhöhe entgegentreten und wissen, was in den Tagebüchern stand. Nicht, weil er sie selbst gelesen hatte. Das konnte er noch immer nicht auf sich nehmen.
    Er wollte Maggie bitten, sie an seiner Stelle zu lesen.
    Die Idee war ihm vor vierzehn Tagen gekommen. Das war die Lösung. Maggie hatte ihre Großmutter nicht mehr kennengelernt. Sie hatte keine persönlichen Erinnerungen an sie, die dadurch zerstört werden konnten. Er wollte Maggie bitten, ihm zu sagen, worauf Sadie gestoßen war, warum sie fortgelaufen war, damit er vorbereitet war, wenn er ihr gegenübertrat. Wenn es stimmte, dass Bill Sadies Vater war – wenn Bill der Vater irgendeines der Mädchen war -, dann war es eben so. Mittlerweile empfand er anders. Tessa war tot. Bill war tot. Was geschehen war, war geschehen. Ihm blieb nur noch, seinen Frieden mit den Lebenden zu machen, mit seinen Töchtern, vor allem mit Sadie.
    Wenn er verarbeitet hatte, was immer Maggie entdecken würde, würde er es seinen anderen vier Töchtern sagen. Und dass er zu wissen glaubte, wo Sadie war. Er würde ihnen die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit: dass er die Tagebücher ihrer Mutter nicht verbrannt hatte, dass Sadie sie gelesen hatte, dass sie aus dem Grund weggelaufen war, den er bald in Erfahrung bringen würde.
    Doch dann waren seine Pläne bedroht worden. Maggie hatte angekündigt, nicht nach Donegal zu kommen, Clementine und Eliza hatten sich ihr angeschlossen. Sie hatten über seine eindringliche Behauptung, dass es dieses Mal wirklich wichtig wäre, gelacht.
    Er hatte Plan B ersinnen müssen. Alles hing davon ab, dass Maggie zustimmte. Nicht nur, die Tagebücher zu lesen. Sondern auch, im Anschluss mit ihm nach Donegal zu reisen, was hoffentlich auch Clementine und Eliza umstimmen würde. Ihm ging auf, dass er Maggie alles erzählen und ihr deutlich machen musste, wie wichtig es war. Und dass nur wenig Zeit blieb.
    Er wünschte, sie würde endlich nach Hause kommen, damit er alles in Gang setzen konnte.

    Eine weitere lange Stunde verging, dann tauchte Maggie auf. Von seinem Platz aus konnte man die Straße gut überblicken. Er lächelte. Seine kleine Miss Maggie, jetzt hier in New York, ganz allein. Einen Moment später sah er, dass sie so allein gar nicht war. Sie lächelte zu einem großen jungen Mann auf. Einem Mann, der den rechten Arm um Maggies Schulter gelegt hatte und in der linken Hand einen großen Koffer trug. Aus der Nähe sah Leo, dass es ein Gitarrenkoffer war.
    Wie lange hatte Maggie hier schon einen Freund? Das wäre ihm doch zu Ohren gekommen, wenn auch nur eine seiner Töchter das wüsste. Vielleicht wussten sie es ja noch gar nicht. Dann wäre er ein Mal der Erste.
    Er stand auf und zupfte sein Jackett zurecht. Er wartete strahlend im Foyer, als Maggie und Gabriel durch die Tür kamen.

29
    »Tollpatsch?« Maggie war vollkommen fassungslos. »Was, um alles in der Welt, machst du hier?«
    »Ich warte auf dich«, sagte er.
    »Was ist denn? Ist Clementine etwas passiert?«
    »Nichts ist passiert. Alles bestens.«
    »Was machst du dann hier? Du solltest doch in Irland sein.«
    »Ich bin auf dem Weg.«
    »Über New York?«
    »Du weißt doch, wie gerne ich im Flugzeug sitze.« Leo wandte sich zur Seite und

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