Die Toechter der Familie Faraday
im Porzellanladen, in eine Situation, in der er nicht erwünscht ist.«
»Du bist nicht dumm. Und ich bin froh, dass du da bist. Überrascht, aber froh.«
»Ich habe mich, ehrlich gesagt, selbst überrascht. Aber ich bin auch wirklich froh, dass ich hier bin. Jetzt noch viel mehr.« Er legte eine Hand auf ihren Kopf, berührte ihre Wange, dann ihre Nasenspitze, zärtliche Gesten, die er seit ihrer Kindheit beibehalten hatte. »Was hältst du davon, wenn wir beide irgendwo eine heiße Schokolade oder etwas anderes Beruhigendes trinken?«
»Bist du denn gar nicht müde?«
»Wie denn? In der Stadt, die niemals schläft? Lass uns einen draufmachen, bis ich umfalle. Natürlich nur, wenn du mit deinem alten Großvater in der Öffentlichkeit gesehen werden willst.«
Maggie beruhigte sich. Sie hatte ihrem Großvater nie lange böse sein können. »Wir können uns ja auf düstere Lokalitäten beschränken«, sagte sie und hakte sich bei ihm ein.
Eine Stunde später war Maggie wieder zu Hause. Sie hatte Leo in ein Taxi gesetzt, Koffer und Aktentasche daneben, und ihm nachgewunken. Es würde ihm nicht im Traum einfallen, bei ihr zu übernachten, hatte er gesagt. Er hatte sich bereits in einem exzellenten Hotel nahe des Central Park einquartiert.
Sie hatten auf der Bleecker Street noch ein offenes Café entdeckt. Es war zu heiß für heiße Schokolade. Sie hatten Eistee getrunken. Leo hatte versucht, Maggie auszufragen, aber sie hatte sich geweigert, auch nur eine einzige Frage zu beantworten, solange er ihr nicht sagte, warum er gekommen war. »Es ist schon spät. Das war ein harter Tag für dich, und ich habe eine lange Reise hinter mir. Bleiben wir bei unverfänglichen Themen. Ich bin zu müde, um heute Abend noch eine ernsthafte Unterhaltung zu führen.«
»Das überrascht mich nicht, schließlich bist du fast achtzig und ziehst immer noch durch die Welt.«
»Das sagst ausgerechnet du.« Sein Ton wurde ernst. »Wir machen uns alle Sorgen um dich.«
»Mir geht es gut, Tollpatsch, ehrlich. Ich musste nur einfach mal raus.«
»Ich bin stolz auf dich, Maggie.« Er drückte ihre Hand.
Sie verabredeten sich für den nächsten Morgen. Elf Uhr in seinem Hotel. Als er in das Taxi stieg, hatte er doch noch etwas auf dem Herzen. »Ich muss dich um etwas bitten, Maggie. Um eine kleine Notlüge. Falls deine Mutter anruft, oder eine deiner Tanten, du hast mich nicht gesehen. Okay?«
»Weiß denn niemand, dass du hier bist?«
»Nicht so richtig. Juliet nimmt wohl an, dass ich in London bin, auf dem Weg nach Belfast und Donegal.«
»Und die anderen?«
»Die sind sich vermutlich auch nicht so sicher. Die haben mich, glaube ich, vor Jahren schon aufgegeben.«
»Du bist unverbesserlich.«
Er war entzückt, das zu hören.
Nachdem Maggie sich die Zähne geputzt, das Bett ausgeklappt und den Schlafanzug angezogen hatte, fragte sie sich, worüber er wohl mit ihr sprechen wollte. Er hatte mehrfach betont, dass er sich bester Gesundheit erfreute, ihr wiederholt versichert, dass mit Clementine und ihren Tanten alles in Ordnung war. Worum also mochte es gehen?
Sie wälzte sich im Bett umher. Nach der ganzen ruhigen Zeit in New York hatte sie dieser Tag ein wenig überfordert: Dollys Tod, die Begegnung mit Gabriel, Leos Besuch.
Ihr kam einer der vielen Sprüche ihres Großvaters in den Sinn. Auf Regen folgt immer auch Sonnenschein. Wenn Dollys Tod der Regen war, dann war Gabriel der Sonnenschein. Sie hatte ihn gleich gemocht. Wirklich gemocht, wurde ihr in dem Moment bewusst.
Was wäre passiert, wenn Leo nicht im Foyer gewartet hätte? Gabriel wäre mit in ihr Apartment gekommen. Sie hätte ihm einen Kaffee gemacht. Er hätte seine Wette eingelöst, seine Gitarre genommen und gesungen. Sie hätten sich weiter unterhalten, noch mehr gelacht. Und dann?
Es dauerte lange, bis Maggie einschlief.
30
Am nächsten Morgen ging Maggie in Leos Hotel. Es war sehr elegant, mit opulenten Teppichen, funkelnden Kronleuchtern, uniformiertem Personal und glänzenden Messingbeschlägen. Leo versicherte, er hätte den Schlaf der Gerechten geschlafen und wäre in bester Verfassung. In der Stimmung für einen Spaziergang. Wieder hatte er seine Aktentasche bei sich. Maggie bot an, sie zu tragen, doch Leo lehnte ab.
Sie flanierten durch die Straßen bis zum Central Park, vorbei an den Pferdekutschen, durch den Eingang am Columbus Circle. Es war ein warmer, wolkenloser Tag, Schatten sprenkelten die Wege, Sonnenlicht funkelte auf den Teichen. Im Park
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