Die Toechter der Familie Faraday
Konferenzräume und die Bar in der Lobby. Larry übernahm die körperlich schwere Arbeit: Er schob die Möbel beiseite, machte die Bodenreinigung und schleppte die Tabletts mit den leeren Flaschen zum Altglascontainer. Sadie arbeitete hinter ihm her, sie polierte, wischte und füllte die Regale nach. Sie wechselten sich bei den Toiletten ab, aber wenn sie besonders eklig waren, putzten sie gemeinsam. Sie entwickelten einen derart effizienten Arbeitsablauf, dass eines Morgens sogar der Hotelmanager zu ihnen kam, um ihre Arbeit zu loben.
Larry hatte vorgeschlagen, noch früher anzufangen, damit sie noch früher Feierabend machen konnten. »Wenn wir um fünf anfangen würden, wären wir um zehn fertig. Was hältst du davon?«
»Und was sollen wir dann machen?«
»Was immer wir wollen. Eine Stunde macht viel aus. Ich will Surfen lernen et cetera.« Er sagte oft und fälschlicherweise »et cetera« statt »beispielsweise«. Sie fand das sehr charmant. »Komm, lass uns zusammen Surfen lernen, Sally.«
Sie lernten Surfen, dann entschieden sie sich, es auch mit Windsurfen zu versuchen. Sadie machte bei beidem keine gute Figur, aber Larry spottete nicht. »Mach dir nichts draus. Steig aufs Brett und versuch’s gleich noch mal«, sagte er immer. Und das tat sie.
Sie unterhielten sich während der Arbeit, auf dem Weg zum Strand, bei billiger Pizza und beim Billardspielen. Er kam mehrmals in der Woche zu ihr. Als in ihrer Wohngemeinschaft ein Zimmer frei wurde, zog er aus seinem Hostel aus und in ihrem Haus ein. Sie redeten noch mehr. Er erzählte ihr von seiner Kindheit in Dublin. Sie blieb bei ihrer Adelaide-Version. Sie erfuhr nach und nach, dass er keine einfache Kindheit gehabt hatte. Seine Mutter hatte seinen Vater verlassen, als Larry erst fünf Jahre alt war. Sie waren oft umgezogen. Seine Mutter hatte in Hotelbars gearbeitet. Dort war sie leider zu leicht an Alkohol gekommen.
»Deshalb trinkst du nie?« Erst in dem Moment war ihr aufgegangen, dass sie ihn niemals mit einem Drink gesehen hatte, nicht einmal mit einem Bier.
Er machte kein großes Aufhebens. »Für mich hat es nie nach einem Vergnügen ausgesehen.«
Also trank sie in seiner Gesellschaft auch nicht. Es machte ohnehin keinen Sinn, da sie beide um vier Uhr morgens aufstehen mussten.
Sie hörte schreckliche Geschichten von Nächten, in denen er seiner Mutter die Stufen zum Schlafzimmer hinaufhelfen musste, in denen sie volltrunken vor dem Haus lag, in denen Horden von Männern durch ihr Bett und ihr Leben gewandert waren. Er fragte Sadie nach ihrer Familie. Ihm war die Geschichte zu Ohren gekommen, die sie damals im Hostel erzählt hatte. Sadie hatte ein schlechtes Gewissen und versuchte, dem Thema auszuweichen. Ihre Geschichte war erfunden. Seine nicht. Er war verletzt, dass sie sich ihm verschloss und ihm nicht vertraute, also erzählte sie. Zum Ausgleich schmückte sie ihre Geschichte noch mehr aus, schilderte eine schwierige Kindheit, einen gewalttätigen Vater, ein Leben in ständiger Angst. Sadie wusste nicht, woher all diese Geschichten kamen, aber sie ließen sich nicht aufhalten. Sie wurden immer detailreicher, als sie erzählte, wie sie in der Schule schikaniert worden war und sich ihre Eltern Nacht für Nacht gestritten hatten. Je mehr sie erzählte, umso realer kam es ihr vor.
Eines Abends hatten sie draußen auf der Veranda gesessen, den warmen Abend genossen und dem Zirpen der Grillen gelauscht. Er hatte sie nach ihrer Schulzeit gefragt, und sie antwortete mit einer tragischen Geschichte. Sie hätte in einem Theaterstück mitgespielt, doch weder Vater noch Mutter waren zur Aufführung erschienen, und als sie nach Hause gekommen war, hatte ihr Vater erst ihre Mutter geschlagen, dann sie. Die Worte waren ihr einfach so entglitten. Danach hatte er lange geschwiegen, und sie hatte sich entsetzlich gefühlt, ein schlechtes Gewissen gehabt, sich geschämt. Sie war zu weit gegangen.
Dann hatte Larry ihre Hand genommen und sie an sein Herz gelegt. »Wir passen zusammen wie Topf und Deckel, du und ich.« Dann hatte er ihr gesagt, wie sehr er sie bewunderte, wie unglaublich es war, dass sie so stark und fröhlich und glücklich war, nach allem, was sie erlebt hatte. Und dann küsste er sie.
Sadie hatte niemals eine lange Beziehung, überhaupt eine Beziehung gehabt. Sie hatte als Teenager gelegentlich rumgeknutscht und ihre Jungfräulichkeit mit neunzehn bei einer Party verloren, zu der sie sich mit ihrer Freundin selbst eingeladen hatte. Sie
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