Die Toechter der Familie Faraday
alten Kirche auf die Straße abbogen, die durch die hügelige Heidelandschaft führte. »Das überschreitet wirklich sämtliche deiner Pflichten.«
»Nein, tut es nicht. Ich habe heute Morgen noch schnell in das Handbuch für Pseudo-Verlobte geschaut, und da steht unter Punkt sieben: ›Du sollst, falls nötig, nach Dublin fahren. ‹«
»Ich meine es ernst, Gabriel. Wenn du geahnt hättest, worauf du dich da einlässt …«
»Maggie, es ist wirklich kein Problem. Für mich ist das nicht schwer, wohl aber für dich.«
»Mich?«
»Vielleicht irre ich mich ja, aber ich fände es wahnsinnig anstrengend, wenn alle so an mir herumzerren würden. Die Einzige, die dich in Ruhe lässt, ist Clementine, dabei hätte sie noch das größte Recht, etwas von dir einzufordern. Aber sie macht am wenigsten Aufhebens.«
»So war sie immer.«
»Du hast dir jedenfalls die richtige Mutter ausgesucht. Gut gemacht.«
»Danke.«
Sie fuhren durch die kahlen Hügel, in denen nur gelegentlich sumpfige Stellen schimmerten und Torf gestochen wurde, der zum Trocknen in der Sonne lag. Maggie las den Bericht des Privatdetektivs. Es war seltsam, das Leben einer Person auf derart nüchterne, nackte Fakten reduziert zu sehen. Noch seltsamer war die Vorstellung, dass es Sadie sein könnte, die dieses Leben seit fast zwanzig Jahren lebte, unter fremdem Namen, mit einem Mann und einer Tochter in Dublin. Das Foto hatte Leo am meisten bestürzt. Wenn es wirklich Sadie war, dann war die Fotografie der Beweis, dass sie ein Leben führte, von dem sie nicht das Geringste wussten. Dass sie eine Familie hatte, von der sie nichts wussten. All die Jahre hatte Maggie sich vorgestellt, Sadie würde irgendwo in einer Hippie-Kommune im tropischen Norden Australiens leben. Das Bild ließ sich nicht so schnell verscheuchen.
Maggie konzentrierte sich wieder auf das Foto. Sie schaute auf eine Fremde, eine Fremde, die die gleichen dunklen Augen und die gleiche Gesichtsform wie ihre Mutter und ihre Tanten hatte. Ihr Haar wirkte, als wäre es gefärbt, obwohl sich das schwer sagen ließ. Ihr Mann machte einen sehr netten Eindruck. Ein breites Lächeln, Sommersprossen, sehr blaue Augen. Und ihre Tochter? Maggies Cousine. Es war schwierig, etwas aus dem Foto herauszulesen. Sie schaute nach oben zu ihren Eltern und lachte. Alle drei schienen sehr glücklich.
Gabriel riss Maggie aus ihren Gedanken. »Wird Leo den anderen eigentlich erzählen, dass er Sadie gefunden hat? Oder dass er zumindest glaubt, sie gefunden zu haben?«
»Noch nicht. Er will warten, bis er Gewissheit hat.«
»Glaubst du, die anderen freuen sich?«
»Natürlich. Sie ist doch ihre Schwester.«
»Hat denn bisher noch niemand nach ihr gesucht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Maggie. »Aber falls doch, haben sie nie darüber gesprochen.«
Die Frage hatte Maggie auch schon beschäftigt. Vielleicht hatten sie nach ihr gesucht. Vielleicht hatten sie es alle getan und kein Glück gehabt.
»Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Maggie?«
»Das klingt aber ernst.«
»Es ist eher eine Frage aus Neugierde. Wieso haben deine Tanten dich so gut im Griff?«
»Im Griff?« Sie lachte. »Gabriel, das sind meine Tanten und keine Außerirdischen, die mich kontrollieren.«
»Das weiß ich. Ich weiß, was Tanten sind, ich habe selbst welche. Aber bei meinen ist nach den obligatorischen Socken zum Geburtstag Schluss. Deine scheinen regelrecht einen Anteil an dir zu haben.«
»Sie haben mich alle mit großgezogen. So gesehen haben sie alle ihren Anteil an mir. Und außerdem sind das keine Quälgeister, sondern meine Verwandten, und ich liebe sie.«
»Wirklich?«
»Ja, ja.« Sie schwieg einen Moment. »Ich mag es, wenn ich in ein Zimmer komme und da sind meine Mutter und meine Tanten und mein Großvater. Ich fand das als Kind schon toll, und ich finde es heute noch toll. Du hattest eben eine ganz andere Kindheit, du allein mit deiner Mutter.«
»Vielleicht finde ich es deshalb so faszinierend.«
»Es freut mich, dass es uns gelingt, dich zu unterhalten.«
»Das gelingt euch vortrefflich. Und meine Wissbegier zu erwecken. Besonders, was diese Familientreffen angeht. Das ist, als wärt ihr alle in eine Gewohnheit verfallen, die niemand durchbrechen kann.«
Seine Bemerkungen beunruhigten und verärgerten sie gleichermaßen. »Gabriel, wir sind hier, weil wir es wollen.« Sie korrigierte sich. »Weil wir meinen, dass wir hier sein sollten. Wir tun es in erster Linie wegen Leo, aber was ist so falsch
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