Die Toechter der Familie Faraday
Vergangenheit lauschen. Sie haben geheiratet, Juliet kam zur Welt, dann Miranda, Eliza, alle so schnell hintereinander.« Sie schwieg wieder. Maggie wollte sie berühren, sie trösten, aber Sadie blieb auf Abstand. »Und dann kam ich, Maggie, und habe alles verdorben.«
»Das hast du nicht. So kannst du es doch unmöglich sehen.«
»Damals konnte ich es aber nicht anders sehen, und das kann ich bis heute nicht. Denn es ist die Wahrheit. Tessa hat mich von Anfang an nicht gemocht, geschweige denn geliebt. Ich habe sie nur wütend gemacht und gelangweilt. Sie hat über alle anderen etwas Gutes geschrieben, aber niemals auch nur ein solches Wort über mich. Nicht eine lustige Anekdote, nicht eine nette Bemerkung. Ich weiß es genau, Maggie, denn ich habe die Bücher nochmals gelesen, ein zweites Mal, um ganz sicher zu sein.«
Zwanzig Jahre, und Sadie war immer noch tief verletzt, die Erinnerung immer noch frisch.
»Ich war das schwächste Junge im Nest. Vielleicht erinnerst du dich nicht an den Wortlaut, aber genau so hat Leo mich genannt. Ich war die Tochter, mit der er Mitleid hatte, die er bedauert hat. Vielleicht hat er mich geliebt – das glaube ich schon, sicher mehr, als Tessa das getan hat -, aber er war nie stolz auf mich. Ich habe ihm keine Freude bereitet, und er hatte keine Hoffnungen in mich gesetzt. Das hat so wehgetan. Ich hatte immer das Gefühl, dass er mich anders behandelte, aber ich hatte niemals verstanden, wieso. Als ich dann die Tagebücher gelesen habe, wurde mir alles klar.«
Maggie erinnerte sich an Leos Worte. Sadies Gedächtnis funktionierte einwandfrei.
»Ich konnte nicht bleiben. Nicht mit dem Wissen. Ich war ja nicht nur als Erwachsene eine Enttäuschung für Leo, ich war bereits als Kind für meine Mutter ein einziges Ärgernis gewesen. Nicht nur das – ich habe sie angeödet. Ich konnte Leos Gerede über Tessa nicht mehr ertragen und so tun, als wäre sie ein Engel gewesen, Jahr für Jahr zu ihrem Gedächtnis diese entsetzlichen Rituale mitmachen. Es war ja schon schwierig genug, überhaupt zu dieser Familie zu gehören und niemals mit Mirandas Esprit mithalten zu können, mich ständig mit Juliet zu streiten, Eliza auf die Nerven zu gehen, selbst Clementine …« Sie zögerte. »Besonders Clementine in den letzten Jahren.«
»Nach meiner Geburt?«
Sadie nickte.
»Was ist passiert, Sadie? Warum hast du mich damals mitgenommen? Du musst doch gewusst haben, wie sehr das den anderen zusetzen würde.«
Sadie wandte sich zu ihr und sah sie an. »Als ich nach Melbourne geflogen bin und fest entschlossen war, nicht wieder zurückzugehen, konnte ich mich nicht von dir verabschieden. Ich habe dich zu sehr geliebt, Maggie. Und ich wusste, dass du mich auch lieb hattest. Und damals habe ich so dringend etwas Liebe gebraucht.«
Maggie fragte nicht, sie nahm ihre Tante einfach in die Arme.
Als Sadie zurücktrat, standen in ihren Augen Tränen. »Ich bin um mein Leben gerannt, Maggie, und ich habe dich einfach mitgenommen. Ich habe dabei gar nicht an die anderen gedacht, daran, wie es ihnen ergehen würde. Aus heutiger Sicht war ich damals vollkommen kopflos. Ich bin jetzt selbst Mutter. Ich kann mir also vorstellen, was Clementine durchgemacht haben muss. Wenn mir jemand Maudie wegnehmen …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann von Glück sagen, dass Clementine mich nicht umgebracht hat.«
»Leo sagt, dass sie nahe dran war.«
»Ich habe ihr viel Leid zugefügt. Das kann ich mir bis heute nicht vergeben, selbst wenn ich weiß, warum.«
»Aber was ist mit Leo, Sadie? Er ist doch dein Vater. Er ist sehr traurig, dass er dich verloren hat. Möchtest du ihn denn nicht doch sehen? Ihm wenigstens schreiben?«
»So einfach ist das nicht. Ich habe im Laufe der Jahre viel darüber nachgedacht und mich bis heute nicht wirklich entschieden, was das Beste wäre. Ich will ihn einerseits sehen, aber andererseits weiß ich auch, dass ich dann immer daran erinnert würde, dass er mich für die Versagerin der Familie hält. Und in dem Moment würde ich dazu werden. Ich würde zu der Person werden, die Tessa in ihren Tagebüchern beschrieben hat. Ich weiß, dass es so wäre. Das kann ich nicht, Maggie, denn es spielt überhaupt keine Rolle, was wir außerhalb der Familie sind, in unserem eigenen Leben: Sobald wir wieder zusammenkämen, wäre es genau wie früher. Darf ich raten, wie es im Moment läuft? Miranda ist scharfzüngig wie immer, aber alle lassen es ihr durchgehen, weil sie ja so amüsant
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