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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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anzurufen.
    Als die Ziffern auf dem digitalen Wecker neben ihr auf drei Uhr umsprangen, war sie nicht mehr so sicher. Sie war im Schlaf hochgeschreckt, vielleicht sogar von ihren eigenen Gedanken geweckt worden. Sie dachte an Maggie. Sie hatte kaum Gelegenheit gehabt, sie anzusehen. Ein flüchtiger Eindruck, die plötzliche Erkenntnis, dass aus der hinreißenden Fünfjährigen eine erwachsene Frau geworden war. Dann war Larry gekommen, und sie hatte Maggie weggescheucht.
    Sie hatte Maggie weggescheucht. Was für ein entsetzlicher Gedanke. Sie sah ihre Nichte vor sich in der Pension am Ende der Straße. Sadie kannte sie gut. Sie kannte sogar die Zimmer, die Betten, die Ausstattung.
    Es schien unglaublich, dass Maggie so nah war. Wie hatte Maggie sie gefunden? Warum hatte sie ausgerechnet jetzt nach ihr gesucht, nach all diesen Jahren? Bestimmt hatte dieser Journalist etwas damit zu tun. Aber so viele Fragen blieben. War die ganze Familie in Donegal? Wussten sie alle, dass Maggie hier war und sie aufsuchte? Waren sie womöglich in diesem Moment alle in der Pension? Und wer war dieser Amerikaner? Welche Rolle spielte er bei dem Ganzen?
    Sadie dachte an die vielen Briefe, die Maggie ihr während der letzten zwanzig Jahre geschickt hatte. Sie hatte miterlebt, wie sich die Handschrift ihrer Nichte änderte, ihr Wortschatz wuchs, sich der Radius ihres Lebens ausdehnte. Sie hatte von Maggies Reisen nach Melbourne und Sydney zu ihren anderen Tanten gelesen. Sie hatte von den Mathematik-Wettbewerben erfahren, ihren Leistungen im Studium, den erstklassigen Jobangeboten, ihrer Zeit in Kanada und dem Umzug nach London. Sie hatte alles über Leos Erfindungen gelesen, Clementines Forschungsprojekte, Mirandas Heldentaten, Elizas Unfall und Rekonvaleszenz und Juliets beruflichen Erfolg. Durch Maggies Briefe war Sadie auf dem Laufenden geblieben. Sie hatte alles erfahren und doch fernbleiben können.
    Sie dachte an jene Tage zurück, die sie mit Maggie in Hobart verbracht, wie viel Spaß sie zusammen gehabt und worüber sie gesprochen hatten. Wie sehr sie Maggies Gesellschaft genossen hatte. Sie sah ihr Gesicht vor sich, ernst, fröhlich. Dann dachte sie an etwas anderes, etwas, das sie sich häufig und gerne ins Gedächtnis rief, etwas, das sie damals so glücklich gemacht hatte und es auch heute noch tat. Ein fünfjähriges Mädchen schlingt die Arme um ihren Hals, um ihr ein Geheimnis zu verraten. »Du bist meine Lieblingstante.«
    Eine Lieblingstante würde ihre Nichte nicht nach zwanzig Jahren fortschicken, ohne mit ihr zu sprechen, gleichgültig unter welchen Umständen.
    Sadie drehte sich um und flüsterte: »Larry?«
    »Hm.«
    »Bist du wach?«
    »Hm.«
    »Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich morgen früh einen unserer Lieferanten besuchen muss, und wir haben doch die wöchentliche Mitarbeiterbesprechung. Würde es dir etwas ausmachen, morgen etwas früher ins Büro zu gehen?«
    »Natürlich nicht.« Er klang schläfrig. »Ich wurde doch sowieso im Büro sehr vermisst, oder?«
    »Ganz furchtbar. Mehr noch als hier.«
    »Dann gehe ich besonders früh.«
    »Danke, Larry.«
    Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich. »Gerne doch, Liebes.«

43
    Maggie hatte bereits drei Mal an der Rezeption angerufen. Noch vor acht Uhr. Die Rezeptionistin, eine junge Polin, war jedes Mal gleichbleibend höflich.
    »Ich werde den Anruf sofort zu Ihnen durchstellen.«
    »Es ist nur, es kann sein, dass sie mit meinem Nachnamen nach mir fragen wird oder einfach nur nach Maggie. Oder vielleicht auch nach Maggie Faraday.«
    »Egal, wie die Anruferin Sie nennt, ich werde sie zu Ihnen durchstellen.«
    Um halb neun klingelte das Telefon neben dem Bett. Maggie stürzte sich auf den Hörer. »Hallo, hier ist Maggie.«
    »Maggie, hier ist Sadie.« Es klang, als würde sie von einem Handy aus anrufen.
    »Sadie, hallo.« Sie hatte ihr so viel zu sagen, aber am Telefon ging das nicht. »Wie geht es dir?«
    »Sehr gut. Bestens. Und dir?«
    »Gut.«
    »Und den anderen?«
    »Alles bestens.«
    »Seid ihr alle in Donegal?«
    »Woher weißt du das?«
    »Aus deinen Briefen, Maggie. Du bist eine sehr gute Briefeschreiberin.«
    »Du aber auch.« Sie machte eine Pause. »Tja, eigentlich nicht. Aber du bist eine sehr gute Kartenschreiberin.« Sie lachten beide verlegen.
    »Es tut mir leid wegen gestern Abend. Ich muss sehr barsch gewirkt haben.«
    »Kein Problem.«
    »Mein Mann weiß nichts von dir, Maggie. Von niemandem von euch.«
    »Nicht? Aber …«
    Sadie

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