Die Toechter der Familie Faraday
richtige Zeitpunkt? Es musste jetzt sein. Während ihre Mutter sich besann, mit ernstem Gesicht abwog, was sie sagen sollte, hatte Maggie das seltsame Gefühl, dass Clementine anders aussah. Es war, als sähe sie Clementine zum ersten Mal als Frau, nicht nur als ihre Mutter.
Clementine strich die Laken glatt. »Kannst du mir erzählen, was Leo dir schon erzählt hat?«
Maggie packte die Wut. »Damit du notfalls wieder lügen kannst?«
Clementine blieb ruhig. »Nein, damit ich dir nicht erzähle, was du schon weißt.«
Maggie schämte sich. »Es tut mir leid.« Dann erzählte sie, was Leo ihr in New York geschildert hatte. Mittendrin brach sie ab. Sie bewegte sich auf einem Minenfeld. Sie konnte Clementine erzählen, was Leo ihr gesagt hatte, solange sie weder die Tagebücher noch ihr Treffen mit Sadie erwähnte. Was für eine Ironie des Schicksals. Während sie noch gegen ihren Ärger darüber ankämpfte, dass ihre Mutter sie belogen hatte, musste sie selbst ihre Mutter belügen. Einen Moment lang war sie versucht, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber mit welchen Konsequenzen? Sie würde ihr Versprechen Sadie gegenüber brechen und Clementine in eine große Verlegenheit bringen, weil sie dann etwas wüsste, was weder ihr Vater noch ihre Schwestern ahnten.
»Erzähl weiter, Maggie«, sagte Clementine sanft.
Maggie fuhr fort und vermied die Dinge, über die sie nicht sprechen konnte.
Danach schwieg Clementine lange und nahm Maggies Hand in ihre. »Was er dir erzählt hat, ist alles wahr. Es tut mir leid, Maggie.«
»Dass es so geschehen ist, oder dass du mir niemals die Wahrheit gesagt hast?«
»Beides.«
»Aber warum? War es zu schwierig, deiner Tochter zu erzählen, was ihre Familie auseinandergerissen hat?«
»Am Anfang, ja, und dann war es zu einfach, mit der Lüge zu leben.«
»Ihr alle habt mich ihr schreiben lassen, Jahr für Jahr …«
»Wir hatten gute Gründe dafür. Um dich zu schützen und um Sadie vor bösem Gerede zu schützen, falls sie jemals zurückkommen sollte.«
Maggies Wut verrauchte allmählich. Clementine blieb immer so ruhig, so sachlich. Miranda hätte in solch einer Situation ein riesiges Drama veranstaltet. Juliet hätte allzu emotional und reuig reagiert, Eliza nur kühl die Fakten aufgelistet. Gabriel hatte mit seiner Bemerkung recht gehabt. Maggie hatte sich in der Tat die richtige Mutter ausgesucht.
Doch was Clementine dann sagte, überraschte sie.
»Ich wünschte, Leo hätte zuerst mit mir darüber gesprochen. Er hätte es dir nicht einfach so erzählen sollen.«
»Warum nicht?«
»Ich bin deine Mutter. Er hätte mich zuerst fragen sollen.«
»Aber ihr verfügt doch nicht über mich. Obwohl ja jeder hier meint, ein Anrecht an mir zu besitzen.«
»Siehst du das so?«
»Es ist doch so, oder?«
»Haben wir denn nicht alle ein gewisses Anrecht aneinander?«
»Ich weiß nicht.« Maggie stand auf, entzog sich ihrer Mutter. Sie verschränkte die Arme. »Das war ein seltsames Juli-Weihnachtsfest.«
»Ja, nicht wahr? Kaum angefangen und schon vorbei.« »Wie meine Verlobung.« Es war ein schlechter Versuch, die Stimmung zu lockern.
Clementines Gesichtsausdruck änderte sich. »Oh, Maggie. Sag mir ehrlich, wie geht es dir damit?«
Maggie war dankbar, dass sie, wenn auch nur kurz, das Thema wechseln konnte. Dann wurde ihr etwas bewusst. Wenigstens in dem Punkt konnte sie Clementine die Wahrheit erzählen. »Gabriel war nicht mein Verlobter. Ich habe ihn erst vor ein paar Tagen kennengelernt. Es war Leos Idee, ihn hierher mitzunehmen. Um euch alle herzulocken.«
Clementine war entsetzt. »Und dabei hast du mitgemacht?«
Maggie nickte.
»Obwohl das alles gelogen war? Warum?«
»Weil Leo das wollte. Weil es ihm wichtig war, dass wir an den Familientraditionen festhalten …« Sie brach ab. Sie wusste plötzlich selbst nicht mehr, warum. »Ich wollte Leo glücklich machen.«
»Und das zwischen dir und Gabriel war nur Theater?«
»Wieso?«
»Weil es mir nicht so vorgekommen ist. Weder bei ihm noch bei dir.«
Maggie zögerte. »Ich mochte ihn. Sehr sogar. Hast du mit seiner Freundin gesprochen?«
»Nein, nur Miranda. Hast du denn nichts von ihr gewusst? Du schienst wirklich geschockt.«
»Ich wusste, dass jemand aus New York anrufen würde. Nur nicht, dass es seine Freundin sein würde.«
»Es tut mir leid«, sagte Clementine wieder.
Mehr gab es dazu nicht zu sagen, wurde Maggie bewusst. Sie stand immer noch ein Stück von ihrer Mutter entfernt und wusste nicht, was sie
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