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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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zu sehen. Doch Clementine wollte nicht auf die Bilder schauen. Sie brauchte ihre Mutter hier und jetzt. Lebendig.
    Im Flur gab es ein Gepolter. Clementine fluchte leise. Zum Glück war Maggie nicht wach geworden. Sadie sprang immer von den letzten Sprossen der Leiter, die zum Dachboden führte, obwohl Leo sie schon unzählige Male gebeten hatte, es zu unterlassen. Sie hatte dort oben nach der Weihnachtsdekoration gesucht, obgleich es noch drei Wochen bis zu ihrem Fest dauerte. Wenige Augenblicke später kam Sadie mit einer staubigen Schachtel ins Wohnzimmer. »Ich find’s toll, zweimal im Jahr Weihnachten zu feiern, du nicht auch? Ich könnte jede Woche einen Truthahn verputzen.«
    Clementine legte einen Finger auf die Lippen und wies auf Maggie. Sadie verzog das Gesicht, murmelte »’tschuldige«, setzte sich auf den Boden vor dem Feuer und leerte klappernd die Schachtel. »Sadie!«, zischte Clementine.
    »’tschuldige«, flüsterte Sadie.
    Sadie ordnete den Inhalt sorgfältig, Sterne auf einen Haufen, Lametta auf den anderen. Sie sah dabei ungewöhnlich friedlich aus. Clementine entschied, dies war der richtige Zeitpunkt.
    »Sadie, wie war Mum eigentlich?«
    »Was?«
    »Wie war sie?«
    »Dreh dich um.«
    »Ich weiß, wie sie ausgesehen hat. Ich kann mich aber nicht erinnern, wie sie so war. An ihre Art.«
    »Sie war … sie war eben Mum.« Sadie sah unbehaglich aus. »Wieso fragst du?«
    »Nur so. Mir ist nur danach, über sie zu sprechen. Erzähl mir etwas von ihr, Sadie. Was hast du am liebsten mit ihr gemacht?«
    Sadie legte das Lametta, das sie zu entwirren versuchte, auf den Boden und dachte eine Weile nach. »Ich hab gerne im Schlafzimmer gesessen, wenn sie sich zurechtgemacht hat, um auszugehen. Miranda war auch immer dabei. Mum hat dann in ihren Kleiderschrank gesehen und gesagt: ›Nun, Miranda, was soll ich anziehen?‹ Dann hab ich zugeschaut, wie sie sich geschminkt hat. Sie hat immer viel Make-up benutzt, besonders Lippenstift. Das hat Miranda eindeutig von ihr.«
    »Warum kann ich mich nicht an so was erinnern?«
    »Dafür warst du wohl noch zu klein.«
    »Du bist doch bloß zwei Jahre älter.«
    Sadie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Clementine. Vielleicht waren das die beiden Jahre, in denen sich das Gedächtnis entwickelt.« Sie stand auf, nahm die Schachtel und verließ das Zimmer.
    Wenig später kam Juliet ins Zimmer. Sie tat so, als würde sie eine Zeitschrift suchen. Dann glättete sie ein Kissen, sah auf einige Bücher im Regal, bevor sie sich endlich neben Clementine auf das Sofa setzte.
    Sie flüsterte. »Alles in Ordnung?«
    Clementine nickte.
    »Sadie sagt, du hast nach Mum gefragt?«
    »Das darf ich doch wohl, oder?« Clementine war sonst nicht so schnippisch.
    »Natürlich. Aber warum so plötzlich, aus heiterem Himmel?«
    »Ich wollte nur etwas über sie wissen.«
    »Wegen Maggie?«
    »Wegen mir und wegen Maggie. Ich kann mich einfach an nichts erinnern, Juliet. Und es ist irgendwie nicht richtig, dass ich jetzt selbst Mutter bin und meine eigene Mutter nicht um Rat fragen kann. Das ist nicht gerecht.«
    »Nein, ist es auch nicht.«
    »Und ich finde es unerträglich, dass ich die Einzige bin, die sich nicht richtig an sie erinnern kann. Ihr alle habt richtige Erinnerungen. Ich habe nur Fotos.«
    »Erinnerst du dich denn überhaupt nicht an sie?«
    »Ich erinnere mich daran, dass sie da war. Dass jemand da war, zu dem ich gehen konnte, dass ich sie etwas fragen und mit ihr zur Schule gehen konnte. Aber ich bringe vieles durcheinander. Ich meine, mich an Mum zu erinnern, aber dann wird mir klar, dass es vom Zeitpunkt her überhaupt nicht stimmen kann und dass du mich zur Schule gebracht oder mir das Essen eingepackt hast.«
    »Es tut mir leid, Clemmie.«
    Sie sahen eine Weile schweigend ins Feuer. Das brennende Holz spuckte und krachte. Clementine schob Maggie ein wenig zur Seite und zog die Decke enger um sie.
    »Sie war immer beschäftigt«, sagte Juliet nach einer Weile. »Sie hatte immer etwas zu erledigen oder zu planen. Verkleidungsspiele. Aufwändige Geburtstagsfeiern. Sie mochte es, Dinge zu organisieren, auf Märkte zu gehen oder aus der Stadt hinauszufahren. Sie hatte sehr viel Energie.« Juliet lächelte. »So habe ich sie in Erinnerung. Dass sie vor Energie geradezu platzte.«
    »Und was hat bei ihr nicht gestimmt? Das sind alles gute Eigenschaften. Irgendetwas muss bei ihr doch auch nicht gestimmt haben.«
    Juliet zögerte. »Sie war manchmal ein wenig

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