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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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Schwäche und weinte stille Tränen in ihr Kopfkissen. Alles, was ihr Vater damals gesagt hatte, ging ihr dann durch den Sinn. Ihr Leben war zum Erliegen gekommen, begraben unter einer Lawine aus Windeln, Wischtüchern und Lätzchen. Doch sie bestand darauf, dass sie selbstverständlich mit allem zurechtkäme.
    Auch als sie jetzt in ihrem Zimmer saß und versuchte, Maggie zum Schlafen zu bringen, redete sie sich das ein. Sie legte Maggie in ihr Bettchen, aber sie fing an zu jammern, als wäre sie in heißes Wasser getaucht worden. Clementine trug sie in dem schallsicheren Raum umher – in der Zelle, wie sie ihr Zimmer neuerdings insgeheim nannte -, doch ohne Wirkung. Falls Maggie nach dem letzten Füttern müde geworden war, war davon nichts mehr zu merken. Sie schaute hellwach in die Welt. Clementine sprach leise auf sie ein, drängte sie zu schlafen, um ihrer beider willen. Maggie blickte ungerührt zurück. Clementine streichelte ihr kleines Gesichtchen, ihre Nase, ihre Augenbrauen. Die Augenlider flatterten, und einen Augenblick lang war Clementine optimistisch. Eine Sekunde später war Fräulein Wachauge wieder da.
    Clementine ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo der Kamin brannte. Es ging zwar schon auf das Ende des Frühjahrs zu, doch die Nächte waren immer noch kalt. Clementine machte das Deckenlicht aus, schaltete die kleine Lampe ein und sorgte für eine friedliche Atmosphäre. Sie änderte ihre Haltung und legte sich Maggie an die Schulter. Sie mochte das Gefühl, wenn Maggies Kopf an ihrem Hals lag, wenn Maggie ruhig atmete und der Atem an ihrer Haut prickelte. Sie hatte Nacht für Nacht wach gelegen und ihm gelauscht. Anfangs hatte sie die Atemzüge voller Angst fast gezählt, jeden einzelnen herbeigefleht. Sie hatte so viel über plötzlichen Kindstod gelesen, über Schlafapnoe, Masern und Windpocken, über alle Kinderkrankheiten, sie war so gut informiert, dass sie genauso viel Angst wie Liebe verspürte.
    Denn sie liebte ihre Tochter doch, oder nicht? War es das, was sie für sie empfand? Sie war sich nicht sicher. Schließlich hatte sie auch geglaubt, David zu lieben. Jetzt dachte sie kaum noch an ihn.
    Sie empfand etwas unglaublich Starkes für Maggie, etwas, das sie ständig zu ihr zog, eine Sehnsucht nach ihrem warmen kleinen Körper. Sie konnte Stunden damit verbringen, nur in Maggies Augen zu schauen und das bläuliche Weiß um ihre dunkle Iris zu bestaunen. Viele Minuten vergingen, in denen sie ihre sanften Wangen streichelte, die winzigen, stacheligen Wimpern zählte, die fast unsichtbaren Augenbrauen nachzog, die winzigen – ach, so winzigen – Fingerund Zehennägel berührte. Wenn Maggie sauber war, konnte sie unentwegt an ihr schnuppern, ihren zarten, puderigen Geruch nach … nach was? Waschpulver? Babypuder? Nicht nur. Maggie schien einen ganz besonderen Duft an sich zu haben, den nur Clementine riechen konnte. Auch hatte ihr Kopf die richtige Form, denn er passte genau in die Wölbung zwischen Clementines Kinn und Schulter. All dies waren wunderschöne Momente. Aber die körperliche Anstrengung, die unglaubliche Kraft, die Maggie sie kostete, nahmen einen Raum in ihren Gedanken ein, den sie eigentlich für Muttergefühle und überquellende Liebe vorgesehen hatte.
    Aber sie konnte nicht klagen. Sie würde nicht klagen, denn sie wollte auf keinen Fall hören: »Wir haben dich gewarnt!«, oder: »Haben wir nicht gesagt, dass so etwas passieren würde?« Sie würde ihre Alles-im-Griff-Nummer auf Gedeih und Verderb durchziehen.
    Wenn sie in den frühen Morgenstunden wach wurde, Nacht für Nacht, und versuchte, Maggie zu beruhigen, sehnte sie sich nach ihrer eigenen Mutter. Danach, zu ihrer Mutter gehen und fragen zu können: Wie mache ich das am besten? Wieso weint Maggie? Was ist das für ein Ausschlag? Mache ich das mit dem Bäuerchen auch richtig? Darf sie auf der Seite schlafen? Ist es normal, dass mir die Brüste so wehtun?
    Sie stellte sich vor, ihre Mutter würde ihr im Sessel gegenübersitzen. Das war schwierig. Was würde sie tun? Stricken? Nähen? Clementine konnte sich nicht erinnern, ob ihre Mutter Handarbeiten gemocht hatte. Würde sie leise fernsehen, damit Maggie nicht geweckt würde? Würde sie lesen? Ein Kreuzworträtsel lösen?
    Clementine rief sich das Gesicht ihrer Mutter ins Gedächtnis. Dabei hätte sie sich bloß umdrehen müssen. Die gesamte Wand hing voller gerahmter Fotografien: erste Schultage, Familienurlaube, Geburtstagsfeiern. Auf der Hälfte davon war ihre Mutter

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