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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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bröckelnden Bruchsteinmauern. Verlassen wegen Emigration oder Tod oder in Vorfreude und Erwartung eines neuen, komfortableren Heims.
    Das Ferienhaus der Faradays war um 1900 erbaut. Es stand auf halber Höhe auf einem steilen Hügel, zwei Kilometer vom Ort entfernt. Es lag an einem kurzen, aber kurvigen Sträßchen, das von Bäumen gesäumt wurde. In den Wintermonaten ragten und stachen die Äste in den grauen Himmel, im Sommer aber bildeten sie einen hellgrünen Tunnel aus Blattwerk. Das Haus hieß Radharc na Mara - irisch für »Seeblick«. Die Worte standen in schwarzer Farbe auf dem getünchten Pfeiler am Tor. Juliet hatte die Farbe gleich bei ihrer Ankunft am Vortag ausgebessert. Das tat sie bei jedem Besuch als Erstes, dann beschnitt sie die Fuchsiensträucher entlang des kurzen Weges zum Haus, bis sich um sie herum ein Teppich aus dunkelrosa Blüten ausbreitete. Für Juliet waren Fuchsien so etwas wie die irische Nationalblume, denn sie reckten ihre zarten Köpfchen überall aus den Hecken und Steinmauern. Ihre glockenförmigen Blüten wogten im Wind.
    Das Haus war ursprünglich ein traditionelles zweigeschossiges Gebäude mit vier Fenstern gewesen – zwei oben und zwei unten -, mit einer schweren hölzernen Eingangstür, die von einem Vordach geschützt wurde. Ganz zu Anfang hatte dort eine achtköpfige Familie gewohnt, so war den Faradays erzählt worden, die sich die drei Zimmer und das Bad geteilt hatte. Der nächste Besitzer hatte einen weiteren Flügel angebaut, im gleichen grauen Naturstein, mit zwei weiteren Zimmern und einem zusätzlichen Bad, und hatte dabei einen geschützten Hofbereich geschaffen. Der Besitzer danach hatte die Elektrik erneuert, ein neues Dach errichtet und den grauen Stein weiß getüncht. Aber die neue Küche, die moderne Waschküche, der Efeu, der über die niedrige Steinmauer vor dem Haus wuchs, die Kübel mit Fuchsien und Geißblatt am Eingang und die Blumenbeete und das Heidekraut rings um das Haus waren sämtlich Neuerungen der Faradays.
    Das galt auch für die Fenster. Als Leo das Haus zum ersten Mal besichtigt hatte, hatte es noch die ursprünglichen Fenster besessen. Klein, mit Läden, tief in das Gemäuer eingelassen, als Schutz gegen den Regen und den Wind, der fast das ganze Jahr über an den Hügeln und Bergen rüttelte, kalt und heftig und direkt vom Atlantik. Das hatte Leo den jungen Mann, der ihm den Besitz gezeigt hatte, als Erstes gefragt: Würde die Statik neue Fenster verkraften? Größere, breite Fenster, mit Doppelverglasung? Der junge Mann, »der in dem Moment ein Geschäft gerochen hatte«, wie Leo es formulierte, hatte ohne Zögern geantwortet. Natürlich wäre das möglich. Es würde das Haus um ein Vielfaches verbessern, von der Wertsteigerung ganz zu schweigen. Mit großer Geste hatte er Leo dann die Visitenkarte seines Schwagers gegeben, der als Glaser im nahe gelegenen Fischereihafen Killybegs arbeitete.
    Die Umbauten waren abgeschlossen, noch bevor die Familie ihren ersten Urlaub im Haus verbracht hatte. Juliet konnte es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Die großen Fenster mit ihrem wundervollen Ausblick machten den Reiz des Hauses aus. Die vier rückwärtigen schauten auf eine bergige Landschaft, grüne Ginsterbüschel und quadratische Felder mit Steinmauern neben Schieferhaufen und Tupfen violetten Heidekrauts, das Grün und Braun der Berge mit schwarzgesichtigen Schafen gesprenkelt. Die Seitenfenster führten auf den nahe gelegenen Ort – einige verstreute, weiß getünchte Häuser, einige Pubs, eine Autowerkstatt und zwei Geschäfte. Dem Ort gegenüber lag der gewundene Strand, zu dem man nur gelangte, indem man eine kleine Böschung hinaufstieg und dann über einige Felsen wieder hinabkletterte. Das Haus der Faradays blickte auf den Strand. Juliet konnte Stunden verträumen und von einem der niedrigen, bequemen Sessel aus das Wetter beobachten, dem Wind lauschen und in den Himmel hinaufschauen. In Manchester tat sie so etwas niemals, in Sydney hatte sie es schon gar nicht getan, nicht einmal in Tasmanien, wo sie von Meer und Himmel umgeben waren. Das wilde Land gab ihr das Gefühl, dass sich alle – Urlauber und Einheimische gleichermaßen – an die Erde krallen mussten, weil schon ein Windstoß genügen würde, um sie einfach hinwegzuwehen.
    »Deshalb, meine Liebe, haben wir ja Doppelverglasung«, hatte Leo gesagt, als Juliet ihm bei ihrem ersten Aufenthalt zu erklären versucht hatte, wie nahe sie sich dort der Natur fühlte. »Ganz

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