Die Toechter der Kaelte
wieder flatterten die Augenlider. Eigentlich ging es hier nicht um das Fehlen von Mutterliebe. Sie liebte Maja heiß und innig, aber hatte zugleich das Gefühl, als hätte ein feindlicher Parasit sie befallen, der ihr alle Lebenslust aussog und sie in dieses Schattendasein zwang, das nichts mit ihrem früheren Leben gemein hatte.
Manchmal verspürte sie auch große Bitterkeit gegenüber Patrik. Weil er in ihrer Welt nur kleine Gastspiele geben und dann als normaler Mensch fröhlich in die richtige Welt hinausgehen konnte. Weil er nicht verstand, wie ihr Leben im Augenblick aussah. In klareren Momenten begriff sie jedoch, wie ungerecht sie war. Denn wie sollte er das verstehen? Er war nicht in derselben Weise körperlich gebunden, übrigens auch gefühlsmäßig nicht. Im guten wie im schlechten war das Band zwischen Mutter und Tochter jetzt am Anfang so stark, daß es als Fußfessel, aber auch als Rettungsleine diente.
Eines ihrer Beine war eingeschlafen, und Erica versuchte vorsichtig, die Stellung zu ändern. Sie wußte, daß sie ein Risiko einging, aber am Ende wurde der Schmerz im Bein zu groß. Diesmal hatte sie kein Glück. Maja begann sich zu rühren, schlug die Augen auf und suchte mit weit offenem Mund sofort ihre Brust. Seufzend stopfte Erica ihr wieder die Warze zwischen die Lippen. Diesmal hatte Maja nur eine halbe Stunde geschlafen, und Erica wußte, daß es nicht lange dauern würde, bevor das Kind erneut müde wurde. Ihr Sitzfleisch würde auch heute einiges erdulden müssen. Nein, verdammt, dachte sie im nächsten Augenblick. Bei der nächsten Schlafphase würde sie Maja zwingen, allein einzuschlafen!
Es wurde ein Kampf, bei dem beide versuchten, ihren Kopf durchzusetzen. In der einen Ringecke befand sich Erica, zweiundsiebzig Kilo. In der anderen Ringecke Maja, sechs Kilo. Mit festem Griff schob Erica den Kinderwagen über die Schwelle zwischen Wohnzimmer und Flur. Ihr Arm fuhr nach vorn, nach hinten, wieder nach vorn. Sie fragte sich im stillen, wie jemand in einem Wagen schlafen konnte, der erschüttert wurde wie bei einem Erdbeben, aber dem schlauen Buch nach sollte es genau so sein. Klarer und deutlicher Bescheid an das Baby: Nun sollst du schlafen, Mama hat die Lage unter Kontrolle. Eine Viertelstunde nach Versuchsbeginn konnte Erica jedoch keineswegs behaupten, daß sie die Lage unter Kontrolle hatte. Obwohl Maja nach all ihren Berechnungen hundemüde sein müßte, schrie sie aus vollem Hals und war ungemein wütend darüber, daß ihr das Recht auf ihren Riesennuckel verweigert wurde. Einen Augenblick war Erica versucht aufzugeben, wollte sich wieder hinsetzen und das Kind in den Schlaf stillen, aber dann besann sie sich. Wie erbost Maja auch über die Neuordnung war und wie sehr die Schreie Erica ins Herz schnitten, so war dem Kind besser mit einer Mama gedient, der es gutging. Also machte sie weiter. Jedesmal, wenn Maja voller Protest schrie, schuckelte sie den Wagen energisch. Verstummte Maja und war im Begriff einzuschlafen, so hielt Erica den Wagen vorsichtig an. Laut Buch war es wichtig, daß man sich nicht verlocken ließ, das Baby in den Schlaf zu schuckeln, sondern daß man kurz vorher aufhörte, damit das Baby aus eigener Kraft einschlief. Und halleluja! Eine halbe Stunde später war Maja im Wagen eingeschlummert. Vorsichtig schob Erica ihn ins Arbeitszimmer, schloß die Tür und setzte sich mit einem seligen Lächeln aufs Sofa.
Ihre gute Stimmung hielt an, obwohl es schon acht Uhr abends und Patrik noch immer nicht daheim war. Erica hatte sich nicht aufraffen können, überall die Lampen anzuschalten, und als die Dämmerung in den Abend überging, wurde es im Haus immer dunkler. Jetzt leuchtete nur noch der Fernseher, und sie schaute träge einer der vielen abendlichen Doku-Soaps zu. Zu ihrer Schande mußte sie gestehen, daß sie bei allzu vielen dieser Sendungen hängenblieb, und Patrik maulte immer mehr darüber, ständig mit Intrigen und mediengeilen Leuten überschwemmt zu werden. Sein Sportgucken war gründlich eingeschränkt worden, aber solange nicht er hier Abend für Abend saß, hatte sie nicht vor, die Regie über die Fernbedienung aus der Hand zu geben. Sie stellte den Ton lauter und wunderte sich erneut, wie ein ganzer Haufen bildschöner Mädchen um einen beknackten, eitlen Junggesellen herumscharwenzeln konnte, der ihnen einzureden versuchte, er sei zur Ehe bereit, während es den Zuschauern absolut klar war, daß er seine Mitwirkung bei diesem Programm eher als
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